Klimaschutz

VCI-Bewertung der BDI-Studie „Klimapfade für Deutschland“

06. Februar 2018 | Position

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Mitte Januar 2018 hat der Bundesverband der Deutschen Industrie seine Studie „Klimapfade für Deutschland“ vorgestellt. Sie untersucht die technischen und wirtschaftlichen Herausforderungen, die mit den deutschen Klimazielen für 2050 verbunden sind. Der VCI hat die wichtigsten Inhalte der umfangreichen Studie zusammengefasst und aus Sicht der chemischen Industrie bewertet.

„Klimapfade für Deutschland": Der VCI hat die wichtigsten Ergebnisse der gleichnamigen BDI-Studie zusammengefasst und bewertet. Sie befasst sich damit, ob und wie die deutschen Klimaschutzziele 2050 erreicht werden können. - Foto: © Rechitan Sorin/stock.adobe.com
„Klimapfade für Deutschland": Der VCI hat die wichtigsten Ergebnisse der gleichnamigen BDI-Studie zusammengefasst und bewertet. Sie befasst sich damit, ob und wie die deutschen Klimaschutzziele 2050 erreicht werden können. - Foto: © Rechitan Sorin/stock.adobe.com

Hintergrund

Der BDI hat von der Boston Consulting Group (BCG) und Prognos in einer Studie mit dem Titel „Klimapfade für Deutschland“ in verschiedenen Szenarien mögliche technische Wege zur Erreichung der Klimaziele für 2050 (Treibhausgasminderung um 80 bis 95 Prozent) untersuchen lassen. Die Studie, die bewusst keine Roadmap für die Entwicklung in Deutschland bis 2050 darstellen soll, betrachtet in mehreren Szenarien, ausgehend von definierten Annahmen, wie mögliche Reduktionspfade in den verschiedenen Sektoren (Energiewirtschaft, Industrie, Transport und Gebäude/Haushalte) volkswirtschaftlich optimiert aussehen können.

Die Studie beschreibt in fünf Szenarien, wie mögliche Wege aussehen können: Ausgangspunkt ist ein Referenzszenario (R), das die Entwicklung beschreibt, wenn die derzeit beschlossenen Klimaschutzanstrengungen bis 2050 unvermindert fortgeführt werden können. Im Vergleich dazu werden dann Szenarien betrachtet, die als Endpunkte eine 80-Prozent-Minderung bzw. eine 95-Prozent-Minderung (Basis 1990) der Treibhausgase in Deutschland haben. Zudem wird in beiden Szenarien unterschieden zwischen einem nationalen Alleingang (N80 und N95) und der Entwicklung unter einem einheitlichen globalen Klimaschutz (G80 und G95).

Nachfolgend bewertet die chemische Industrie die zentralen, für die Industrie wichtigen Aussagen der Studie.

Annahmen

Wie in allen Szenarien-Studien müssen zahlreiche Annahmen zur Berechnung getroffen werden. Die Ergebnisse sind dann sehr stark von den festgelegten Annahmen abhängig. Oftmals können kleine Änderungen in den Annahmen zu großen Unterschieden in den Ergebnissen führen, was in der Regel über Sensitivitätsanalysen dargestellt wird. Kapazitätsbedingt konnten in dieser Studie nur sehr wenige solcher Sensitivitätsanalysen durchgeführt werden.

Wichtige Annahmen/Inputparameter bei der Studie waren:

  • Im Referenzszenario werden die heute geltenden Maßnahmen bis 2050 fortgeschrieben (z.B. Beibehaltung des heute geplanten Ausbaupfades für erneuerbare Energien).
  • In den Szenarien „nationale Alleingänge“ verfolgen nur einzelne Staaten auf der Welt (darunter Deutschland) ambitionierte Klimaziele – mit den höchsten CO2-Preisen in Deutschland/EU von 45 Euro im Jahr 2050 und niedrigen bis gar keinen CO2-Preisen im Rest der Welt. Der Ölpreis steigt bis 2050 auf 115 US-Dollar/Barrel, im Wesentlichen aufgrund der weltweit hoch bleibenden Nachfrage.
  • In den Szenarien „globaler Klimaschutz“ werden die Klimaschutzinstrumente international koordiniert, und es liegen vergleichbar hohe CO2-Preise (108 bis 124 Euro) in den Industrie- und wichtigen Schwellenländern und niedrige Preise (45 Euro) in Entwicklungsländern vor. Der Ölpreis pendelt sich im Jahr 2050 auf 50 US-Dollar/Barrel ein. Hauptgrund ist die aufgrund der Klimaschutzma߬nahmen stark zurückgehende Nachfrage.
  • Im Referenzszenario und in den Szenarien „nationale Alleingänge“ wurde für die Industrie in ein weitgehender und wirksamer Carbon-Leakage-Schutz (keine direkten und indirekten Mehrkosten aus dem Emissionshandel) konsequent unterstellt, unter anderem, um zu gewährleisten dass sie ihren Anteil an der deutschen Wertschöpfung bis 2050 halten kann.
  • Es erfolgt eine rein volkswirtschaftliche Betrachtung (d.h. alle Kosten und Einsparungen werden zum Beispiel mit einem Realzins von 2 Prozent diskontiert; Stromkosten werden über „Stromsystemkosten“ bewertet; Zölle, Steuern, Beihilfen werden nicht berücksichtigt).

Wichtigste Ergebnisse und Bewertung

Ergebnis:

Im Referenzszenario, d.h. ohne dass weitere Maßnahmen beschlossen werden, wird bis 2050 bereits eine Minderung von 61 Prozent erreicht.

VCI-Bewertung:

  • Bei einer solchen Minderung verbleibt zwar noch eine erhebliche Lücke bis hin zu den heute geplanten Reduktionen von 80 bis 95 Prozent bis 2050. Sie stellt aber im internationalen Vergleich aus heutiger Sicht immer noch einen vergleichsweise hohen Wert dar. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist auch, dass der Ausbaupfad der erneuerbaren Energien bis 2050 so umgesetzt wird, wie er im Energiekonzept 2010 beschlossen worden ist (d.h. zum Beispiel 80 Prozent erneuerbare Energien im Strombereich). Dies ist bereits mit einer hohen Kostenbelastung verbunden, und ob ein solcher Weg alleine aus Akzeptanzgründen in der Bevölkerung realistisch ist, muss hinterfragt werden.

Ergebnis:

Eine 80-Prozent-Minderung ist technisch machbar und sowohl im nationalen Alleingang als auch in einem globalen Klimaschutzregime wegen geringer Effekte auf die Entwicklung des Bruttoinlandsprodukts volkswirtschaftlich verkraftbar. Einer Mehrinvestition von 1,5 Billionen Euro zur Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen steht eine Energiekosteneinsparung entgegen, wobei immer noch kumuliert Mehrkosten von 470 Milliarden Euro (15 Milliarden Euro/Jahr) entstehen.

VCI-Bewertung:

  • Obwohl keine grundlegend neuen technologischen Entwicklungen erforderlich wären, ergeben sich erhebliche Herausforderungen. So müsste zum Beispiel die gesamte heute in Deutschland zu energetischen Zwecken eingesetzte Biomasse auf die Industrie zur dortigen Wärmeerzeugung konzentriert werden. Dies stellt die Industrie vor entsprechende technologische Herausforderungen mit erheblichen Mehrinvestitionen, und es bleibt offen, ob eine solche Vorgehensweise eine ausreichende gesellschaftliche Akzeptanz erreichen würde.
  • Die ausgewiesenen Mehrinvestitionen/-kosten gelten nur für den volkswirtschaftlich optimalen Fall und für eine ideale Umsetzung. Im Realfall führen suboptimale politische Umsetzungen (Beispiel EEG) in der Regel zu sehr viel höheren Kosten. Hinzu kommt, dass die tatsächlichen Mehrkosten auch erheblich von den Einsparungen auf der Energieseite und den dort getroffenen Energiekosten-Annahmen abhängen. Steigt zum Beispiel der Ölpreis nicht wie in dem Szenario angenommen auf 115 US-Dollar/Barrel, sondern bleibt auf dem heutigen Niveau, verdoppeln sich die Mehrkosten bereits.
  • Ein Großteil (zwei Drittel) der Maßnahmen und der dazu notwendigen Investitionen rechnen sich betriebswirtschaftlich aus Entscheidersicht nicht, weil zum Beispiel Unternehmen nicht mit 2 Prozent-Verzinsung rechnen, sondern eher mit 8 Prozent rechnen müssen. Das heißt, dass, auch wenn das Gesamtergebnis volkswirtschaftlich rechenbar ist, ein Großteil der skizzierten Maßnahmen nicht umgesetzt wird, wenn diese nicht zum Beispiel durch eine staatliche Förderung angereizt würden. Ob allerdings staatliche Förderung in einem solch hohen Volumen getätigt werden könnte, muss zumindest in Frage gestellt werden.

Ergebnis:

Eine Reduktion um 95 Prozent würde an die Grenze der technischen Machbarkeit führen und eine gesellschaftliche Akzeptanz für Maßnahmen und Technologien weit über das heutige Maß hinaus erfordern. Eine 95-Prozent-Reduktion wäre gleichbedeutend mit einer Nullemission in weiten Teilen der Volkswirtschaft (geringe Restemissionen nur noch im Bereich Landwirtschaft und Prozessemissionen zulässig). Notwendig wären ein vollständiger Verzicht auf fossile Brennstoffe und ein damit verbundener noch stärkerer Ausbau der erneuerbaren Energien bzw. der Import von erneuerbaren Energieträgern, der Einsatz von CCS und massive Eingriffe in der Landwirtschaft. Die Mehrinvestitionen würden kumuliert auf 2,3 Billionen Euro steigen und die Mehrkosten (nach Abzug der eingesparten Energiekosten) auf 930 Milliarden Euro (ca. 30 Milliarden Euro/Jahr).

VCI-Bewertung:

  • Eine 95-Prozent-Minderung, wie in dem Szenario beschrieben, ist im nationalen Alleingang nicht darstellbar. Da auch die Umsetzung eines global einheitlichen Klimaschutzregimes, wie es das G95-Szenario vorgibt, kaum realisierbar sein wird, kann derzeit ein solches Ziel nicht anstrebenswert sein.
  • Auch für dieses Szenario gilt, dass der Großteil der erforderlichen Vermeidungsmaßnahmen sich betriebswirtschaftlich nicht rechnen und mit einem hohen Fördervolumen angereizt werden müsste. Hinzu kommt, dass hier verstärkt Maßnahmen ergriffen werden müssten, für die entweder heute keine gesellschaftliche Akzeptanz vorliegt (wie CCS im industriellen Bereich) oder für die die gesellschaftliche Akzeptanz immer weiter schwindet (massiver Ausbau der erneuerbaren Energien und der Netze).

Kontakt

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 Matthias Belitz

Kontaktperson

Matthias Belitz

Bereichsleitung Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz