chemie report Interview

„Viele fragen noch, ob sie Industrie 4.0 brauchen“

16. September 2015 | Bericht

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  • Interview aus dem chemie report 09/2015 mit Professor Dr. Carlo Simon, Provais School of International Management and Technology, zum Thema Industrie 4.0 (PDF, 1 Seite)

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Welche neuen Geschäftsmodelle ergeben sich für Unternehmen durch Industrie 4.0? Damit beschäftigt sich die Provadis Hochschule im Frankfurter Industriepark Höchst. Ein Gespräch mit Vizepräsident und Wirtschaftsinformatiker Carlo Simon.

"Bei Industrie 4.0 werden Produktionsprozesse durch Internet-Technologie einfacher und reaktionsfähiger." - Professor Dr. Carlo Simon, Vizepräsident für Forschung und Lehre sowie Dekan des Fachbereichs Wirtschaftsinformatik, Provadis School of International Management and Technology. - Foto: © Prof. Dr. Carlo Simon
"Bei Industrie 4.0 werden Produktionsprozesse durch Internet-Technologie einfacher und reaktionsfähiger." - Professor Dr. Carlo Simon, Vizepräsident für Forschung und Lehre sowie Dekan des Fachbereichs Wirtschaftsinformatik, Provadis School of International Management and Technology. - Foto: © Prof. Dr. Carlo Simon

chemie report: Das Schlagwort Industrie 4.0 ist in aller Munde. Was ist das?

Prof. Simon: Es gibt viele Definitionen. Sie haben gemeinsam, dass man mit Industrie 4.0 versucht, die industrielle Fertigung von der Produktion bis zur Auslieferung durch Internet-Technologien einfacher und reaktionsfähiger zu machen.

Der Automatisierungsgrad in der Industrie ist aber schon sehr hoch. Was ist das Neue?

Maschinen und Fabriken interagieren heute nur wenig miteinander. Dadurch reagie- ren sie nicht auf Verzögerungen oder gesteigerte Anforderungen. Läger zwischen den Produktionsschritten sind dann nicht sinnvoll integriert. Mit Industrie 4.0 kann die Flexibilität der Produktion weiter gesteigert werden. Das ermöglicht auch eine stärkere Individualisierung von Produkten. Die ist heute schon in der Automobilindustrie sehr verbreitet. In der Pharmabranche zeichnet sich der Trend zur individualisierten Medizin ab, mit hohem Nutzen für die einzelnen Patienten. Die Massenproduktion in Chemie und Pharma ist dafür aber noch nicht ausgelegt.

Wie kann sich die chemisch- pharmazeutische Industrie auf Industrie 4.0 einstellen?

Sie muss selbstkritisch nach Engpässen fragen und wie diese durch adaptive Produktionsflüsse ausgeglichen oder vermieden werden können. Die zweite Frage zielt auf die Geschäftsmodelle: Wie können kleine Chargen durch eine höhere Produktdifferenzierung das eigene Angebot erweitern und gleichzeitig die Produktion stärker auslasten?

Nennen Sie bitte ein Beispiel.

Man findet heute in Baumärkten 3-D-Drucker für unter 1.000 Euro. Wenn ich Hersteller von Kunststoffen wäre, dann würde ich den dort ent- stehenden Massenmarkt bedienen, etwa mit Kunststoffen, die glitzern oder leuchten. Hier wird die Geschwindigkeit entscheiden, wer diesen neuen Markt zuerst besetzen kann.

Wie kann ein Unternehmer die Produktion auf Industrie 4.0 vorbereiten? Reichen Internet-Schnittstellen?

Nicht nur. Ich muss wissen, wie die Produktionskette aus-sieht und wo ich Puffer reduzieren kann. Dann muss ich wissen, welche Verknüpfungen ich in meiner Produktionsstraße schaffen müsste, damit die Maschinen ihre Puffer wechselseitig kennen und ihre Produktion entsprechend hoch- oder runterfahren. Vor der praktischen Umsetzung steht außerdem die Frage: Wie können Maschinen so verknüpft werden, dass man sie nicht von außen hacken kann.

In den USA haben Hacker vor Kurzem bei einem Auto via Internet den Motor lahmgelegt. Können die Chemiebetriebe ihre hohen Sicherheitsstandards in einer Industrie 4.0 halten?

Meiner Einschätzung nach ja. Wir müssen aber sehr vorsich- tig sein, dass wir Kundenwünsche nicht über die Sicherheit stellen. Im genannten Beispiel wurde der dritte Schritt nicht gründlich gemacht. Allerdings gab es auch früher schon Fälle, wo sich Hacker in Industrieanlagen reingehackt haben. Das Auto-Hacking bietet nun die Chance für die produzierende Industrie, solche Risiken zu vermeiden. Es ist jetzt ein neues Bewusstsein dafür da, dass ich sichere Schnittstellen brauche.

Man muss Sicherheit nur konsequent mitdenken, und dann kann Industrie 4.0 sicher werden?

Ja. Viele hören schon beim zweiten der drei Planungsschritte auf und nehmen die Sicherheit nicht ernst genug.

Ist die Entwicklung zu Industrie 4.0 unausweichlich?

Es gibt viele Akteure und Unternehmen weltweit, die die Entwicklung vorantreiben. Es gibt auch viele Regionen, in denen Fragen der Effizienz über die der Sicherheit gestellt werden. In Deutschland haben wir den Anspruch, Effi zienz mit Sicherheit zu verbinden. Und wir haben die Chance, gute Pilotprojekte frühzeitig umzusetzen. Daraus könnten weltweite Exportschlager werden.

Letzte Frage. Bitte vervollständigen Sie diesen Satz. Im Jahr 2030 ist Industrie 4.0 in Deutschland …?

... Normalität!

Das Gespräch führte Oliver Claas.

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