18. Juni 2018 | Bericht
Der Brexit rückt näher: Am 31. März 2019 ist es so weit. Vereinzelte Meldungen über Verhandlungserfolge zwischen Großbritannien und der EU dürfen nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch fast zwei Jahre nach dem Brexit-Referendum zentrale Fragen ungelöst sind. Ein komplettes Scheitern der Verhandlungen mit einem ungeordneten Austritt des Vereinigten Königreichs bleibt möglich. Die chemisch-pharmazeutische Industrie wäre mit ihren grenzüberschreitenden Wertschöpfungsketten von einem harten Brexit besonders betroffen.
Grundsätzlich gilt für die Brexit-Verhandlungen der Leitsatz vieler internationaler Verhandlungen: Nichts ist vereinbart, bis nicht alles vereinbart ist. Das heißt: Nur durch eine finale Einigung auf ein Austrittsabkommen ist ein unkontrollierter, „harter“ Brexit vom Tisch. Bis Oktober soll das Austrittsabkommen stehen, damit Großbritannien Ende März 2019 einen geordneten Rückzug aus der EU antreten kann. Erfolgsmeldungen, wie die Einigung auf eine Übergangsphase bis Ende 2020, übertünchen dabei, dass noch zahlreiche entscheidende Fragen ungeklärt sind. Eine zentrale Hürde ist dabei die nordirische Grenzproblematik. Nordirlands Friedensvereinbarung lebt bislang davon, dass die Grenze zwischen Irland und dem zum Vereinigten Königreich gehörenden Norden aufgrund der EU-Zugehörigkeit beider keine Rolle mehr spielte. Wie dies in Zukunft bewahrt werden kann, ist bislang unklar.
Erst nach einer Einigung auf ein Austrittsabkommen will die EU über die Ausgestaltung des zukünftigen Verhältnisses mit Großbritannien verhandeln. Die wesentlichen Fragen müssten dann bis zum Ende der Übergangsfrist geklärt werden. Dazu gehört auch der Verbleib in der Zollunion, den die britische Regierung bislang kategorisch ablehnt. Von solchen vertraglichen Regelungen hängt die genaue Betroffenheit der Chemie- und Pharmabranche ab.
Gravierende Folgen für die Branche möglich
Die Gesetzgebung für chemische Stoffe und Produkte hat sich in den letzten 15 Jahren in der EU sehr dynamisch entwickelt. Ein unkontrollierter Brexit hätte für die Branche daher unmittelbare und besonders gravierende Folgen. VCI-Hauptgeschäftsführer Utz Tillmann warnt: „Unsere Wertschöpfungsketten sind häufig komplex und grenzüberschreitend. Zollzahlungen und zeitaufwendige Zollprozeduren an der Grenze mit Großbritannien könnten zahlreiche Lieferketten zum Erliegen bringen. Davon wären auch unsere Kundenbranchen massiv betroffen. Ich appelliere daher an unsere Unternehmen: Seien Sie auch dafür gewappnet, dass es keine gute Einigung gibt, und überprüfen Sie Ihr Risikomanagement.“ Der VCI setzt sich auf allen Ebenen bei der Politik dafür ein, chaotische Zustände im Fall des Falles abzuwenden. Nötig wären dazu geeignete Back-up-Maßnahmen.
Harmonisierte Chemikalienregulierung erhalten
Mit Blick auf den Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt setzt sich der VCI grundsätzlich dafür ein, dass das hohe Schutzniveau der europäischen Chemikalienregulierung auch künftig zwischen der EU-27 und Großbritannien harmonisiert erhalten bleibt. Tillmann: „Ein Verlust der Expertise der britischen Behörden würde auch die EU-27 bei der Bewertung und Regulierung von chemischen Produkten schwächen.“ Er wertete in diesem Zusammenhang eine Rede der britischen Premierministerin May Anfang März als positives Zeichen. Darin hatte sie sich für eine weitere Mitgliedschaft Großbritanniens in der europäischen Chemikalienagentur ECHA offen gezeigt. All diese Überlegungen wären aber erst einmal nutzlos, wenn sich die EU und Großbritannien nicht auf ein Austrittsabkommen einigen könnten. Die Folge wäre eine Phase völliger Unsicherheit.
INFO: Chemikalienregulierung beidseits des Kanals
11.315 REACH-Registrierungsdossiersaus dem Vereinigten Königreich (UK) für 5.343 Stoffe sind bis Ende Mai 2018 bei der europäischen Chemikalienagentur ECHA eingegangen. Sie wären im Falle eines harten Brexits nichtig, da die britischen Firmen keinen Sitz in der EU mehr hätten.
EU-Firmen, die bislang von britischen Chemiefirmen beliefert werden, wären dann Importeure. Sie müssten eigene Registrierungen für diese Stoffe einreichen oder der britische Hersteller müsste seine Registrierung zum Zeitpunkt des Brexits auf einen Alleinvertreter mit Sitz in der EU-27 übertragen. Denn Alleinvertreter können Registrierungen für Nicht-EU-Hersteller innehaben, nicht aber für Nicht-EU-Importeure.
Ohne diese Schritte könnten britische Stoffe nicht mehr in die EU geliefert werden. Nachgeschaltete Anwender sollten sich rechtzeitig mit der Frage befassen, welche Konsequenzen der Brexit für die eigene Lieferkette haben wird.
Save-the-Date:
Welche Folgen hat der Brexit für die Chemieindustrie? Am 10. September 2018 bietet der VCI seinen Mitgliedern ein Diskussionsforum in Frankfurt zum Thema „Brexit und REACH“ an:
Details über den hier unterlegten Link (Log-in erforderlich).
Kontroverse Diskussion im Verenigten Königreich
Dieser Artikel ist im chemie report 06/2018 erschienen.
- „Cefic position regarding chemicals regulatory cooperation after Brexit“ - Positionspapier des europäischen Chemieverbandes vom 12. Juni 2018 (in englischer Sprache; PDF; Umfang: 4 Seiten)pdf
- Informationen der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) zu den Auswirkungen des Brexit
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