Standpunkt

Alle Kräfte gegen die unsichtbare Bedrohung „Coronavirus" mobilisieren

20. März 2020 | Standpunkt

Die Corona-Pandemie ist eine historische Herausforderung, wie sie Deutschland seit vielen Jahrzehnten nicht mehr erlebt hat. Das Virus stellt eine existenzielle Bedrohung für jeden Einzelnen, die Gesellschaft insgesamt und unsere Wirtschaft dar, sagt VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup in seinem Standpunkt.

VCI-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Große-Entrup - Foto: © VCI/Döring © VCI/Döring
VCI-Hauptgeschäftsführer Dr. Wolfgang Große-Entrup - Foto: © VCI/Döring © VCI/Döring

Während andere Industriezweige wegen Einbruch der Nachfrage und logistischen Problemen Produktionsstätten schließen, erfüllt die chemisch-pharmazeutische Industrie als systemrelevante Branche in der Krise weiter ihren gesellschaftlichen Auftrag. Darauf können alle stolz sein, die in und für die Branche tätig sind. Mein Dank gilt insbesondere allen Mitarbeitern, die unter den schwierigen Bedingungen an vorderster Linie in der Produktion auch jetzt dafür sorgen, dass uns die „Waffen“ für den Kampf gegen das Virus nicht ausgehen.

Denn noch gibt es für die Lungenkrankheit Covid-19 kein spezifisches Heilmittel und keinen Impfstoff. Derzeit hilft nur das Einhalten strikter Abstands- und Verhaltensregeln aller Bürger, um die Ausbreitung zu verlangsamen. Allerdings wird mit Hochdruck in Deutschland, China, den USA und anderen Ländern an einer Therapie geforscht. In der Zwischenzeit werden rund 50 vorhandene Medikamente, die für andere Krankheiten zugelassen oder in Entwicklung sind, auf ihre Wirkung gegen die Infektion mit Corona geprüft. Wir werden diese Bewährungsprobe bestehen, wenn wir alle Kräfte in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft in unserem Land gegen die unsichtbare Bedrohung mobilisieren. Dieser Aufgabe muss absolute Priorität eingeräumt werden. Und unsere Branche handelt danach.

Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist systemrelevant

In diesen Tagen wird deutlich, welche besondere Rolle die chemisch-pharmazeutische Industrie in Deutschland durch ihre Produkte für den Erhalt unserer Gesundheit spielt: Medikamente, Diagnostika, hochreine Lösemittel und biozide Wirkstoffe für die Desinfektion von Gegenständen und Oberflächen, Seifen für die Reinigung der Hände oder Wasch- und Reinigungsmittel für die besondere Hygiene, die jetzt in jedem Haushalt gefordert ist. Kunststoffe für Verpackungen, die die Haltbarkeit von verderblichen Lebensmitteln verlängern und sie vor Kontamination schützen. Kunststoffe verschiedenster Art sind besonders in Krankenhäusern für medizinische Geräte, im stationären Betrieb, in Operationssälen und der Intensivstation unersetzlich. Für Ärzte und Pflegepersonal sind Schutzkleidung und Masken unverzichtbar, um ihr Leben zu schützen. Auch hier haben chemische Werkstoffe eine zentrale Funktion.

Es geht aber nicht allein darum, die medizinischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Corona-Epidemie in den Griff zu bekommen. Sie hat auch gravierende wirtschaftliche Auswirkungen für das Industrieland Deutschland: Mit der zunehmenden Ausbreitung der Epidemie in Europa und den damit einhergehenden Maßnahmen zur Eindämmung des Virus hat sich die Lage täglich verschärft. Die Lieferketten innerhalb Europas sind stark vernetzt. Produktionsausfälle, Transportbehinderungen und Nachfrageeinbrüche in Europa treffen die Produktion am Standort Deutschland daher umso härter. Die chemische Industrie liefert als Hersteller von Vorleistungen Produkte in alle Zweige der Industrie. Rund 85 Prozent der Produktion gehen in das Produzierende Gewerbe und die Landwirtschaft. Unsere Kundenbranchen sind unterschiedlich von der Pandemie betroffen, aber keine Branche ist von den Einschränkungen durch sie ausgenommen.

15 Prozent der Chemieproduktion hängen vom Fahrzeugbau ab

Die Ankündigung der Automobilindustrie, ihre Produktion an den Standorten in Europa vorübergehend zu schließen, hat massive Auswirkungen auf die Vorlieferindustrien – damit auch auf die Chemie. Unsere direkten Lieferungen an die Automobilindustrie sind mit rund 5 Prozent der Produktion zwar auf den ersten Blick vergleichsweise gering. Weitere Produkte gehen aber über unsere Kunden in der Kunststoff- und Metallverarbeitung, der Textil- und Elektroindustrie und dem Maschinenbau auf Umwegen an die Autohersteller. Insgesamt hängen so mindestens 15 Prozent der Chemieproduktion am Fahrzeugbau. Drosseln die Weiterverarbeiter ihre Produktion aufgrund des Shutdowns in der Automobilindustrie, führt das direkt zu Nachfrageausfällen in vielen Unternehmen unserer Branche.

Zahlreiche Fragen müssen im Zusammenhang mit der Corona-Epidemie derzeit noch geklärt werden. Sie betreffen vor allem praktische Hilfen in dieser außergewöhnlichen Situation. Dazu gehört zum Beispiel, wie die Produktion und die Logistikketten in systemrelevanten Bereichen gesichert werden können. Ausfuhrbeschränkungen dürfen nicht dazu führen, dass Liefer- und Wertschöpfungsketten destabilisiert werden. Die Bundesregierung hat unbürokratisch den Weg frei gemacht, um zum Beispiel bei Desinfektionsmitteln zusätzliche Kapazitäten zu erschließen. Mit einer gemeinsamen Initiative will die Branche dazu beitragen, die breite Verfügbarkeit notwendiger Rohstoffe, zum Beispiel Iso-Propanol und Ethanol, und darauf basierende Desinfektionsmittel in der Lieferkette vom Hersteller bis hin zum Anwender – also Arztpraxen, Apotheken oder Krankenhäuser – zu gewährleisten.

Die Liquidität der Unternehmen in der Krise sichern

Unternehmen, die wegen Corona in Schwierigkeiten geraten, brauchen Unterstützung. Existenziell für die Stabilisierung der gesamten Wirtschaft ist, dass die Liquidität der Betriebe in der Krise erhalten bleibt. Das gerade in Kraft getretene Maßnahmenpaket der Bundesregierung zur Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen der Corona-Pandemie hilft hier sehr. Die Politik hat unter anderem mit den Anpassungen bei den Regelungen zum Kurzarbeitergeld gezeigt, dass sie den Betrieben finanziell massiv beistehen will, die Corona-Pandemie gut zu überstehen oder später wieder auf die Beine zu kommen, um Arbeitsplatzverluste zu verhindern. Besonders für die 1.700 mittelständischen Unternehmen in unserer Branche, die über 167.000 Mitarbeiter*innen beschäftigen, ist der Erhalt der liquiden Mittel die größte Herausforderung in der gegenwärtigen Situation. Die Möglichkeiten zur Stundung und Anpassung der Steuervorauszahlungen sind deshalb für sie ein wichtiges und ermutigendes Signal. Jetzt kommt es auf eine zeitnahe und pragmatische Umsetzung auf allen Ebenen der Steuerverwaltung an.

Wolfgang Große Entrup,
Hauptgeschäftsführer des Verbandes der Chemischen Industrie (VCI)