VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup

Deutschland muss Fahrt aufnehmen

16. Februar 2022 | Standpunkt

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Wir stehen vor der Auffahrt auf den Highway in die Zukunft.

VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup © VCI/Döring
VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup © VCI/Döring

VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup vor der Presse am 16. Februar 2022

(Es gilt das gesprochene Wort)

Wir haben heute eine gute Botschaft für Sie, sehr geehrte Damen und Herren: Wir möchten uns allen etwas genehmigen. Und zwar nichts Geringeres als die Zukunft. Was es genau damit auf sich hat, erkläre ich Ihnen.

Die Pläne der Bundesregierung, die Dauer von Planungs- und Genehmigungsverfahren bei Klimaschutz- und Infrastrukturprojekten zu halbieren, sind ein richtungsweisendes Signal für unser Land. Wir in der chemisch-pharmazeutischen Industrie unterstützen dieses Vorhaben nachdrücklich. Denn von schnelleren Verfahren profitieren nicht nur Unternehmen, Menschen und Umwelt, sondern vor allem die Transformation der Wirtschaft zur Treibhausgasneutralität. Politik und Behörden haben es jetzt in der Hand, Planungs- und Genehmigungsprozesse so zu verkürzen, dass wir schnell klimaneutral werden.

Ganz klar ist: Die Transformation wird die Zahl der Genehmigungsverfahren vervielfachen: Nicht nur neue Windparks, Stromtrassen oder Solarparks müssen gebaut werden. Auch viele Industrieanlagen müssen umfangreich modernisiert werden. Wenn die Politik Wachstumsbremsen lösen und Klimaschutzhemmnisse abbauen will, darf sie sich nicht auf Windkraftanlagen beschränken. Grüner Strom allein macht noch keinen Klimaschutz. Was für Windräder, Stromtrassen und Solarparks gilt, muss für alle nachgelagerten Wertschöpfungsketten und daher auch für alle Industrieanlagen gelten. Nur so wird das Mammut-Vorhaben, dass Deutschland bis Mitte des Jahrhunderts klimaneutral ist, Wirklichkeit.

Hinzu kommt: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klimaschutz hat deutlich gemacht, dass künftige Generationen einen Anspruch auf die Reduktion von Emissionen haben. Auch deshalb ist ein deutlich zügigeres Anlagenzulassungsrecht quasi ein Auftrag aus Karlsruhe.

Sehr geehrte Damen und Herren, nur über eine grundlegende Reform des Anlagenzulassungsrechts lässt sich die heutige Schotterpiste der Genehmigungen in einen Highway für klimaneutrale Produktion und eine starke Wirtschaft umwandeln. Wir stehen vor der Auffahrt auf diesen Highway in die Zukunft. Jetzt müssen wir den Beschleunigungsstreifen richtig ausnutzen, indem wir bei den Genehmigungsverfahren massiv an Geschwindigkeit zulegen und uns damit die Zukunft im wortwörtlichen Sinne genehmigen. Weiteres Bummeltempo oder gar eine Geisterfahrt können wir uns nicht erlauben.

Wir brauchen konkret ein Gesetz zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungs-verfahren, das auch Industrieanlagen einschließt – und zwar noch 2022. Die erheblichen ökonomischen Vorteile, die sich daraus ergeben, wird Ihnen gleich Herr Hüther erläutern.

Ich konzentriere mich deshalb auf neun Vorschläge, die wir gerade erarbeitet haben. Sie zeigen, wie Industrieanlagen künftig schneller genehmigt werden könnten. Bei diesen Empfehlungen geht es uns um Dauer, Umfang und Qualität der Prozesse. Uns allen sollte klar sein: Ausufernde Genehmigungsverfahren versperren uns den Weg in die Zukunft. Also müssen wir diesen Weg frei machen. Unsere Vorschläge im Einzelnen:

Dabei gibt es sensible Aspekte: die Beteiligung der Öffentlichkeit und der Schutz von Know-how, Geschäfts- und Betriebsgeheimnissen sowie die notwendige Sicherheit vor Cyberkriminalität. Das ist alles eng miteinander verknüpft. Und damit hier keine Missverständnisse entstehen: Unsere Branche hält eine Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger für richtig und wichtig. Uns geht es um die Qualität der Beteiligung sowie einen verbesserten und zügigeren Interessenausgleich zwischen Öffentlichkeit und Unternehmen. Am besten wäre es daher, frühzeitig mit den Betroffenen über die Notwendigkeit neuer Industrieprojekte für die Transformation der Wirtschaft zu sprechen.

Dabei brauchen wir eine Balance zwischen dem Interesse der Öffentlichkeit und den Bedürfnissen der Unternehmen. Wir schlagen daher erstens eine Beteiligung für die betroffene Öffentlichkeit mit Augenmaß vor: Wir empfehlen, den Umfang der auszulegenden Unterlagen auf ein rechtssicheres Maß zurückzuführen. Denn Quantität ist nicht gleich Qualität. Alle relevanten Informationen sollten barrierefrei und in zeitgemäßen Formaten bereitstehen. Hierzu bedarf es auch klarer Entscheidungsfristen und verkürzter Stellungnahmefristen von

30 Tagen. Diese Fristen dürfen dann auch nicht unterlaufen werden, indem aufgrund eines Gutachtens zum Gutachten eine nochmalige Expertise angefordert wird. Ebenso hilfreich ist ein Wegfall des Erörterungstermins, der in der Praxis keinen Mehrwert gebracht hat. Stattdessen könnte man in einem schriftlichen Verfahren die Fragen der betroffenen Öffentlichkeit klären. Beides würde helfen, die Verfahren zu verkürzen. Am Ende könnte ein verständlicher Bürgerbericht stehen.

Einem Know-how-Diebstahl könnte man zweitens vorbeugen, indem Behörden beispielsweise auf Kopier-, Weiterleitungs- oder Download-Möglichkeiten verzichten oder Dokumente verschlüsselt werden.

Wie eine zeitgemäße Öffentlichkeitsbeteiligung aussehen könnte, hat der VCI in einem Rechtsgutachten untersuchen lassen. Die Ergebnisse wird Ihnen Herr Altenschmidt vorstellen.

Unser dritter und vierter Vorschlag betrifft die beteiligten Behörden: Zunächst brauchen Ämter und Aktenordner ein Update: Also eine Digitalisierungsoffensive in den Behörden, die dem Namen endlich auch wirklich gerecht wird. Dazu gehört eine adäquate IT-Ausstattung. Und dies erfordert bundeseinheitliche Maßstäbe für eine neue digitalisierte Öffentlichkeitsbeteiligung.

Die vor uns liegenden Herausforderungen können nur mit einer Einstellungs- und Qualifikationsinitiative gestemmt werden. Wir brauchen mehr Personal in den Behörden, das kontinuierlich geschult und entsprechend seinen Fähigkeiten eingesetzt wird.

Zielkonflikte, wie zum Beispiel Vorschriften aus anderen Rechtsbereichen, müssen zukünftig zudem durch die Kommunen frühzeitig identifiziert und Lösungswege erarbeitet werden. Das ist unser Vorschlag Nummer fünf.

Und damit komme ich gleich zu Nummer sechs: Als erste Instanz sollten gleich Oberverwaltungsgerichte bei industriellen Großvorhaben zuständig sein. Dies wäre ein Beitrag zur Straffung des Verbandsklagerechts.

Die Politik ist siebtens auch gefordert, die überkomplexe Bürokratie abzubauen. Das gelingt, wenn jede neu geplante gesetzliche Regelung einen „Transformations-Check“ bestehen muss, der kritisch hinterfragt, ob sie Prozesse beschleunigt oder ein Hemmnis ist. Außerdem sollte man Berichtspflichten überprüfen, Dokumentationspflichten minimieren sowie Doppelregelungen und Widersprüche beseitigen. Um auch hier Missverständnissen vorzubeugen: Es geht uns nicht darum, Umwelt- und Sicherheitsstandards zu senken. Zum Erreichen eines hohen Schutzniveaus stehen wir ohne „wenn“ und „aber“.

Vorschlag Nummer acht betrifft den Themenbereich Rechtsbegriffe: Wir müssen vor allem die Beschäftigten in den Behörden dazu ermutigen, notwendige Entscheidungen auch zu treffen: Immer wieder erschweren unbestimmte Rechtsbegriffe wie „zumutbar“ oder „verhältnismäßig“ oder „vertretbar“ die Arbeit in den Behörden. Solche Begriffe forcieren die Angst vor Verfahrensfehlern und blockieren damit notwendige Entscheidungen. Um auf der vermeintlich sicheren Seite zu sein, werden zunehmend Gutachten angefordert, um im Einzelfall zu klären, was „vertretbar“ oder „angemessen“ ist. Die gesetzlichen Anforderungen und Vollzugsvorschriften müssen daher so weit wie möglich praxisnah, eindeutig und unmissverständlich formuliert sein. Davon profitieren Unternehmen und Behörden gleichermaßen. Mit einem Praxis-Check könnte man zudem prüfen, ob die Gesetze vollzugstauglich sind und die Verfahren dadurch schneller in Schwung kommen.

Mit unserem neunten Vorschlag blicken wir nach Brüssel: Die Bundesregierung muss gleichzeitig die europäische Gesetzgebung deutlich stärker in die Pflicht nehmen. Wir machen uns große Sorgen, dass die Vielzahl neuer Maßnahmen, die auf dem Green Deal aufbauen, die wichtigen deutschen Beschleunigungspläne extrem konterkarieren.

Sehr geehrte Damen und Herren, ich bin überzeugt: Die vor uns liegenden Herausforderungen in der Transformation der Industrie sind gewaltig und vergleichbar mit den Anstrengungen der Wiedervereinigung. Daher braucht es auch eine vergleichbare Kraftanstrengung und die wirkliche Bereitschaft aller Beteiligten, neue Wege zu gehen. Als chemisch-pharmazeutische Industrie sind wir dazu bereit.

Es braucht eine ‚Allianz des Wollens‘ zwischen Bund, Ländern, Gesellschaft und Industrie. Ohne einen veränderten Mindset auf allen Ebenen werden wir diese nationale Kraftanstrengung nicht meistern. Wir appellieren deshalb an die Regierungen der Bundesländer, die Initiative der Bundesregierung konstruktiv zu begleiten, in einem Schulterschluss unabhängig von Parteifarben gemeinsam zügig anzugehen und einheitlich umzusetzen. Unsere neun Vorschläge sind Hilfestellung und Leitplanken für ein Beschleunigungsgesetz, das das gemeinsame Ziel unterstützt: Klimaneutralität und Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland.

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 Monika von Zedlitz

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Monika von Zedlitz

Pressesprecherin Bildungs-/Forschungspolitik, Verkehrsinfrastruktur/Logistik/TUIS, Genehmigungsverfahren/Anlagensicherheit/Chemieparks, Recht/Steuern, Responsible Care, Expertenticker Umwelt & Sicherheit