Krieg in der Ukraine

Wirtschaftliche Aus­wirkungen auf die Branche

27. März 2023 | Bericht

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Der Ukraine-Krieg hat gravierende Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung der Chemie- und Pharmaindustrie. Die Geschäfte mit Russland brechen weg. Die hohe Abhängigkeit Deutschlands und Europas von Rohstoffen aus Russland fordert ihren Tribut. Insbesondere die gestiegenen Preise für Gas und Strom belasten die Unternehmen der Branche. Die Preissteigerungen bei Energie und Rohstoffen setzen sich in der Wertschöpfungskette fort. Hohe Inflationsraten und steigende Zinsen sind die Folge – mit negativen Effekten für die ganze Wirtschaft.

Die in der Folge des Krieges steigenden Energiepreise erschweren die Produktion der deutschen Chemieindustrie. © hanakaz1991/stock.adobe.com
Die in der Folge des Krieges steigenden Energiepreise erschweren die Produktion der deutschen Chemieindustrie. © hanakaz1991/stock.adobe.com

Energieabhängigkeit und Produktionsstruktur der Branche

Der überwiegende Teil des in Deutschland benötigten Gases kam in den letzten Jahren aus Russland. Die Chemie- und Pharmaindustrie setzt Gas sowohl als Rohstoff als auch energetisch zur Gewinnung von Wärme und Strom ein. Insgesamt verbraucht die Branche mit rund 140 TWh im Jahr rund 15 Prozent des Gasverbrauchs Deutschlands. Dabei gehen 73 Prozent in die energetische Verwendung und 27 Prozent direkt als Rohstoff in den Produktionsprozess ein.

Die Chemieindustrie hat insgesamt eine komplexe Produktionsstruktur. Produziert wird häufig in Verbundstandorten, d.h. die Prozesse sind auch technisch miteinander verknüpft. Produkte der energieintensiven Grundstoffchemie gehen als Vorprodukte in die Produktion der Weiterverarbeiter innerhalb der Branche ein (z. B. in die Produktion von Kunststoffen, PVC, Klebstoffen, Lacken, Waschmitteln, Pharmazeutika). Chemieprodukte werden im Folgenden dann vor allem von industriellen Kunden in Deutschland und Europa benötigt. Letztendlich gehen bei weit über 90 Prozent der Industriewaren chemische Produkte als Vorprodukte ein.

Kurz- und mittelfristig ist Gas nicht oder zumindest nur sehr eingeschränkt ersetzbar. Ein Fehlen von Gas hat damit unmittelbare Auswirkungen auf die Produktionsmöglichkeiten von Basischemikalien. Ohne Gas als Rohstoff und zur Erzeugung der nötigen Prozesswärme müssen Produktionsanlagen heruntergefahren werden. Auch aufgrund der Verbundstruktur in den großen Standorten hat dies gravierende Auswirkungen auf die Weiterverarbeiter innerhalb und außerhalb der Branche. Nachgelagerten Wertschöpfungsstufen in der Chemie (Fein- und Spezialchemie, Düngemittel, Konsumchemikalien und Polymere) fehlen dann die Rohstoffe aus der Basischemie. Ein Ersatz dieser Rohstoffe durch Importen ist aufgrund der benötigten Mengen und kurzfristig weltweit begrenzter Kapazitäten nur sehr eingeschränkt möglich. D.h. neben der gasintensiven Grundstoffchemie sind auch nicht-energieintensive Teile der Chemie unmittelbar negativ betroffen und müssen ihrerseits Produktion drosseln. Das hat auch direkt negative Auswirkungen auf die Kunden der Chemieindustrie – nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa.

Russland: wichtiger Lieferant für viele Rohstoffe

Nicht nur für Gas, auch für andere Rohstoffe ist Russland ein wichtiger Lieferant. Kohle und viele Metalle, die in Deutschland und Europa verbraucht werden, stammen aus Russland.

Bei Chemie- und Pharmaprodukten scheint die Bedeutung Russlands als Beschaffungsmarkt auf den ersten Blick gering. Deutschland importierte 2021 chemisch-pharmazeutische Waren im Wert von 1,2 Mrd. Euro aus Russland. Das entspricht rund 0,7 Prozent der gesamten deutschen Importe von chemisch-pharmazeutischen Produkten. Für einzelne Produkte, wie beispielsweise Ammoniak, Ruß, Harnstoff, bestimmte Öle und Calciumphosphate ist Russland aber einer der größten Lieferanten.

Im Laufe des Jahres 2022 sind die Importe kräftig zurückgegangen. Die Importe konzentrieren sich auf wenige Erzeugnisse. Bei vielen Produkten mit hoher Abhängigkeit von russischen Lieferungen blieb diese bestehen. Alternative Lieferanten standen nicht immer zur Verfügung. Teilweise hat sich die Struktur im Handel auch geändert. So wird jetzt statt Ammoniak direkt ein großer Teil des importierten Stickstoffdüngers aus Russland bezogen.

Russland als Absatzmarkt überschaubar, aber nicht unbedeutend

Als Absatzmarkt ist Russland zwar überschaubar, aber nicht unbedeutend. Russland benötigt mehr Chemikalien und Pharmazeutika als es selbst herstellt. Die Handelsbilanz mit chemisch-pharmazeutischen Erzeugnissen mit Deutschland ist negativ. Insgesamt lieferte Deutschland 2021 chemisch-pharmazeutische Waren im Wert von 5,6 Mrd. Euro nach Russland. Das entsprach 2,3 Prozent der gesamten deutschen Ausfuhren von chemisch-pharmazeutischen Produkten.

Die Bedeutung als Exportmarkt hat dabei seit der Krim-Annexion und den darauf einsetzenden Sanktionen bereits kontinuierlich abgenommen. Deutschland exportierte vor allem Pharmazeutika (46 Prozent), Spezialchemikalien (23 Prozent) und Polymere (15 Prozent) nach Russland.

Im Laufe des Jahres 2022 sind die deutschen Ausfuhren nach Russland deutlich zurückgegangen. Im Dezember lagen sie um über 50 Prozent niedriger als noch im Januar des gleichen Jahres. Der Anteil an den gesamten Exporten sank deutlich. Exportiert werden vor allem noch Pharmazeutika, die von den Sanktionen ausgenommen sind. Ein kompletter Rückzug aus dem Markt ist aus humanitären Gründen schwierig.

Das Wegbrechen der Geschäfte konnte aufgrund der langen Zeit guten Nachfragesituation auf anderen Märkten teilweise kompensiert werden. Allerdings gilt dies nicht für alle Unternehmen gleichermaßen. In einer Mitgliederumfrage des VCI gaben einige Unternehmen an, einen größeren Teil ihrer Umsätze mit Russland bzw. der Ukraine zu tätigen. Eine Kompensationsmöglichkeit sahen die Unternehmen nicht. Zudem ist die Geschäftstätigkeit, auch unabhängig von den Sanktionen, schwierig. Die Unternehmen berichten über Probleme mit den Zahlungsmodalitäten, mit den Wechselkursen und mit der Logistik.

Russland als Produktionsstandort

Neben dem Handel über die Ländergrenzen hinweg sind deutsche Chemieunternehmen auch mit eigenen Niederlassungen in Russland und der Ukraine vertreten. Laut der Bundesbank lagen die Direktinvestitionen 2019 bei über 2,2 Mrd. Euro. Das waren 2 Prozent der kompletten Direktinvestitionsbestände der Branche im Ausland. Rund 70 Tochterunternehmen in Russland und der Ukraine mit nach unseren Schätzungen insgesamt etwa 20.000 Beschäftigten – davon rund 3.000 in der Ukraine. Viele Unternehmen zogen sich inzwischen zumindest aus Russland zurück. Die Entscheidungen darüber sind dabei nicht einfach, da die Unternehmen auch Verantwortung für ihre Mitarbeiter vor Ort und für ihre Kunden und Lieferanten haben.

Auswirkungen der hohen Energiepreise auf Branche, Kunden und Gesamtwirtschaft

Auch wenn es nicht zu einer Gasmangellage kam: Bereits die extremen Preisanstiege bei Gas und Strom führten in der Chemieindustrie zu massiven Produktionsdrosselungen. Die Lage der Chemie-Unternehmen verschlechterte sich im Laufe 2022 kontinuierlich. Einzelne Anlagen in der Grundstoffchemie konnten nicht mehr rentabel betrieben werden. Aufgrund der oben beschriebenen Verbund- und Wertschöpfungsstrukturen hatte dies negative Auswirkungen auf nachgelagerte Stufen. Letztendlich ging die Produktion in allen Chemiesparten kräftig zurück. Der Einbruch war dabei auch deutlich tiefer als in früheren Krisen (Corona-Krise, Weltwirtschaftskrise). Mit einer schnellen Erholung kann nicht gerechnet werden. Die Geschäfte werden auch im laufenden Jahr schwierig bleiben.

Die Produktionsdrosselungen in der Chemie hatten massive Auswirkungen auf andere Industrien. Im Jahresverlauf 2022 kam es immer wieder zu Engpässen für einzelne Produkte mit Auswirkungen auf ganz unterschiedliche Bereiche. Die Logistik klagte über AdBlue-Mangel, in Kläranlagen gingen notwendige Fällmittel zur Neige, in der Ernährungsindustrie fehlte CO2 für die Schlachtung und Verpackung, fehlende Salzsäure wurde in der Elektroindustrie beklagt.

Der Preisanstieg bei den Energierohstoffen und den Vorprodukten setzte sich im Laufe des Jahres 2022 in der Wertschöpfungskette fort. Eine insgesamt hohe Inflation war die Folge. Die Notenbanken sahen sich in vielen Ländern gezwungen die Zinsen zu erhöhen. Sich verschlechternde Finanzierungsbedingungen und Kaufkraftverluste bremsen zunehmend Investitionen und Konsum. Die Weltwirtschaft befindet sich inzwischen insgesamt im Abschwung. Insbesondere Europa ist auf dem Weg in eine Rezession. Besonders düster sieht es vielerorts in der Industrie aus. Dementsprechend schwächt sich die Nachfrage nach chemischen Erzeugnissen ab. Das Auftragspolster der Unternehmen sinkt.

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Berichte des VCI zur aktuellen wirtschaftlichen Lage der Branche

VCI-Energiestatistik mit Energiepreisen und Energieverbräuchen der Branche

Informationen des BDEW zu den Erdgaslieferungen, Verbrauch und Preisen

BDEW Studie zu den Substitutionsmöglichkeiten für Gas

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