Versorgungssicherheit

Risiken bei nicht-energetischen Rohstoffen

01. Juni 2022 | Information

Aufgrund von Lieferengpässen wachsen die Sorgen in der Industrie.

Aus Solidarität mit der Ukraine und in Einklang mit den Sanktionen werden Rohstoffe in Europa in „russisch“ und „nicht-russisch“ unterteilt. © thomaslerchphoto/stock.adobe.com
Aus Solidarität mit der Ukraine und in Einklang mit den Sanktionen werden Rohstoffe in Europa in „russisch“ und „nicht-russisch“ unterteilt. © thomaslerchphoto/stock.adobe.com

Aufgrund anhaltender Lieferengpässe oder gar Unterbrechungen von Wertschöpfungs- und Lieferketten kommt es in der chemischen Industrie neben der Befürchtung einer Gasknappheit auch bei nicht-energetischen Rohstoffen zu verstärkten Sorgen hinsichtlich der Versorgungssicherheit. Dies gilt besonders für metallische und mineralische Rohstoffe aus Russland bzw. direkt oder indirekt involvierten Nachbarländern.

Neben drohenden Engpässen steigen die Preise bei nahezu allen Rohstoffen, vor allem dort, wo Russland einen hohen Marktanteil an der globalen Rohstoffproduktion hält. Dies gilt in erster Linie für gas- oder ölbasierte Produkte, aber auch für viele kritische Rohstoffe wie z. B. Palladium, Nickel, Aluminium, Titan und Eisenerzeugnisse.

Rohstoffe mit Risikofaktoren

  • Industrieruße und Vanadium (aus Russland),
  • Schwefel, Flussspat und (gelbem) Phosphor (vorwiegend aus Kasachstan), Logistikrisiko,
  • Lithiumkarbonat, für die LiPF6-Produktion (Elektromobilität) von Bedeutung (aus Russland),
  • Lösungsmittel, Bindemittel (aus der Ukraine),
  • Graphitelektroden (aus Russland),
  • Simititan/Titandioxid (aus der Ukraine),
  • Kasein (aus der Ukraine),
  • Nickel, Platin, Palladium, Phosphor, Preisrisiko, „Tier 2“-Rohstoffe,
  • Holz (aus Russland), Logistikrisiko,
    • Chemische Stoffe aus Holz,
    • Verknappung von Holzpaletten nimmt aufgrund logistischer Störungen weiter zu, was die Logistik zunehmend besonders für KMU schwierig macht,
  • indirekte Auswirkungen über Kundenindustrien,
    • Kabelbäume für Autos (aus der Ukraine), Rückgang der Automobilherstellung wirkt sich auf die Nachfrage der Hersteller nach Chemikalien aus,
    • Baumaterialien (Zement, Kreide) mit Auswirkungen auf die Nachfrage nach Bauchemikalien.

Generell ist zu beachten, dass nicht nur der Rohstoff als solcher, sondern Qualitäten oder bestimmte Spezifika limitierende Faktoren sein können.

Risiko Preisanstieg

Versorgungsrisiken resultieren zum jetzigen Stand nicht nur aus einer physischen Knappheit auf dem Markt, sondern durch starke Preisanstiege und der damit verbundenen Verteuerung von Industrieprozessen und Produkten. Das wird zum einen durch steigende Preise bei kritischen Rohstoffen an sich (Metalle bzw. Halbleiter etc.) und durch stark steigende Preise bei Energierohstoffen, vor allem Erdgas, verursacht. Höhere Preise können nicht immer zwangsläufig in der Wertschöpfungskette weitergegeben werden und zu einem wirtschaftlichen „Abriss“ von Wertschöpfungsketten führen. Diese Effekte sind in Mitteleuropa besonders stark zu spüren und gefährden schlussendlich die Wettbewerbsfähigkeit der ganzen Industrie. Das Bestreben von Unternehmen zur langfristigen Rohstoffsicherung zur Risikominimierung sorgt weltweit auch für Preisanstiege durch eine gestiegene Nachfrage nach langfristigen Rohstoffverträgen.

Eine Diversifizierung der Rohstoffbasis insbesondere mit Blick auf jene Metalle, bei denen der Anteil Russlands an den Gesamtimporten hoch ist, wird generell als möglich angesehen – sie ist allerdings mit teils großen Herausforderungen verbunden. Eine Substitution wiederum ist bspw. bei hochreinem Nickel ausgeschlossen, eine Diversifizierung nur auf lange Sicht möglich.

Kritische Rohstoffe

In ihrem Bericht 2020 über kritische Rohstoffe stellte die Europäische Kommission fest, dass Russland 22 Prozent des weltweiten Titans, 20 Prozent der EU-Lieferungen an Phosphatgestein, 26 Prozent des weltweiten Scandiums und 19 Prozent des weltweiten Vanadiums produziert.

Sondereffekte

Aus Solidarität mit der Ukraine und in Einklang mit den Sanktionen werden Rohstoffe in Europa in „russisch“ und „nicht-russisch“ unterteilt. Dadurch erfahren russische Rohstoffe (bspw. Metalle) aktuell enorme Preisabschläge, was zu Wettbewerbsvorteilen für Handelspartner Russlands (bspw. China) oder von Rohstoffen weitestgehend unabhängiger Staaten (bspw. USA) führt.

Basischemie

Neben den bekannten Abhängigkeiten von Kohle, Öl und Gas (aus Sicht der Wertschöpfungsketten) gibt es auch strategische Risiken im Bereich Phosphor, da hier die Logistik von Kasachstan über Russland und Belarus erfolgt und es weltweit nur wenige Alternativen gibt. Russland – aber auch China – kann auf Transitwege Einfluss nehmen und somit ständige Unsicherheiten generieren. Im Rahmen der Global Gateway-Initiative der EU sollten Logistikalternativen erwogen werden. Neben der Verfügbarkeit von Phosphat (welches durch Circular-Economy-Konzepte auch in Europa perspektivisch steigen wird) bedarf es für die Phosphorproduktion auch großer Mengen an Energie, sodass eine klimafreundliche Diversifizierungsstrategie auf die Entwicklung von Partnerschaften mit Nordafrika, mit dem Ziel eine solarstrombasierte Produktion zu fördern, zielen könnte.

Mikrochips

Bei der Herstellerindustrie für Mikrochips wird Neon in besonderer Reinheit benötigt – etwa die Hälfte des von der Industrie global für diesen Zweck benötigten Neons stammt mutmaßlich aus der Ukraine (genannte Zahlen: global 670 Mio. Liter Gesamtbedarf; demnach um die 330 Mio. Liter aus der Ukraine) und fällt daher derzeit aus. Derzeit wird geprüft, inwieweit der Neon-Knappheit durch Gewinnung von Neon in deutschen Luftzerlegungsanlagen entgegengewirkt werden kann.

Paraffinderivate

Russland ist Hauptlieferant für Paraffinderivate (ca. 80 Prozent), die für verschiedene chemische Erzeugnisse benötigt werden. Ein Ölembargo würde voraussichtlich auch diese Derivate betreffen.

Aus Sicht der Chemie erforderliche/notwendige Maßnahmen

Im Hinblick auf die verstärkte Gefahr von Lieferkettenengpässen wird es in Zukunft wichtig sein, eine langfristige, rohstoffübergreifende Sicht einzunehmen. Neben nun akut drohender Energieengpässe (Kohle, Gas) ist die ausreichende Verfügbarkeit von mineralischen Rohstoffen (insb. Kupfer und Nickel) für den angestrebten massiven Ausbau der Erneuerbaren unverzichtbar. Deshalb sollten folgende Maßnahmen in Zusammenarbeit aller Akteure ergriffen werden:

  • Diversifizierung von Lieferländern durch Energie- und Rohstoffabkommen, die durch Freihandelsabkommen flankiert werden,
  • Stärkung der heimischen Rohstoffwirtschaft und Unterstützung des Aufbaus von Infrastrukturen zur Rohstoffgewinnung und Lagerhaltung im In- und Ausland,
  • Stärkung der Forschung zu Substituten und Aufbau einer international eingebetteten Kreislaufwirtschaft,
  • steuerliche Unterstützung bei privatwirtschaftlicher Rohstofflagerhaltung,
  • Mittelständische Unternehmen benötigen die Perspektive eines möglicherweise staatlich gestützten Rohstoffeinkaufs,
  • massive Investitionen in zukünftige Rohstoffproduktionen seitens der Unternehmen,
  • Der heimische Bergbau muss durch beschleunigte Genehmigungsverfahren gestärkt werden: Hier sind vor allem die Bundesländer gefragt.
  • Es muss verstärkt über heimische Rohstoffförderung nachgedacht werden – das Bergrecht muss an Resilienz- und Transformationsanforderungen angepasst werden.

Bereits getroffene Unternehmensmaßnahmen

Einer Umfrage des DIHK vom 17.3.2022 zufolge haben deutsche Industrieunternehmen bisher Maßnahmen ergriffen. Als Reaktionen auf die wirtschaftlichen Auswirkungen des Kriegs versuchen rund zwei Drittel der Unternehmen Kostensteigerungen an ihre Kunden weiterzugeben. Bei Unternehmen, die indirekt unter den Folgen des Kriegs, z. B. durch Preissteigerungen, zu leiden haben, sind es sogar 77 Prozent. Eine Erhöhung der Lagerhaltung – sofern dies unter den gegebenen Umständen möglich ist – ist für ein Drittel der Unternehmen eine Option. Dabei planen dies insbesondere Industrieunternehmen (52 Prozent) und Großhändler (43 Prozent), die auf Vorleistungsgüter und Rohstoffe angewiesen sind.

Knapp ein Drittel der Unternehmen plant eine Streichung oder Verschiebung von Investitionen. Das ist volkswirtschaftlich ein bedenkliches Ergebnis. Bereits vor dem Kriegsausbruch lagen die privaten Investitionen noch immer deutlich unter dem Niveau von vor der Corona-Krise.

Über ein Fünftel der Unternehmen macht sich auf die Suche nach neuen Lieferanten. Bei den Unternehmen, die direkt von den Folgen des Kriegs oder der Sanktionen betroffen sind, sind es sogar ein Drittel.

Angesichts der hohen Energiepreise und der Abhängigkeit von Öl- und Gasimporten haben gut ein Fünftel der Unternehmen auch vor, verstärkt in erneuerbare Energien zu investieren. Überdurchschnittlich hoch liegt der Anteil in der Industrie (26 Prozent) und im Baugewerbe (25 Prozent), die auch im Vergleich zur Gesamtwirtschaft überdurchschnittlich energieintensiv sind.

Personalanpassung, wie z. B. Kurzarbeit oder Verringerung des Personalbestands, beabsichtigen insgesamt rund ein Fünftel der Unternehmen. Bei Unternehmen, die zu einer Verringerung der Produktion oder Produktionsstopps gezwungen sind, sind es mit 41 Prozent fast doppelt so viele.

Eine Verlagerung von Niederlassungen bzw. Produktion an neue Standorte ist nur für Unternehmen relevant, die direkt von den Auswirkungen des Kriegs oder der Sanktionen betroffen sind. Hiervon denken acht Prozent über eine Verlagerung nach (gesamte Wirtschaft: zwei Prozent).

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 Matthias Belitz

Kontaktperson

Matthias Belitz

Bereichsleitung Nachhaltigkeit, Energie und Klimaschutz