Interview aus dem „chemie report" 05/2016

„Geschäftsmodell-Innovationen in der Chemie finden“

13. Mai 2016 | Bericht

Welche Rolle spielt das Thema Digitalisierung für die Chemieindustrie, und wo steht die Branche heute? Ein Gespräch mit dem neuen Vorsitzenden der „VCI-Task-Force Industrie 4.0“ – Henrik Hahn von Evonik

„Die Unternehmen sollten sorgfältig überlegen, wo ihnen der Einsatz von digitalen Technologien im Geschäft weiterhelfen kann.“- Dr. Henrik Hahn, Corporate Strategy Evonik Industries AG, neuer Vorsitzender der VCI-Task-Force Industrie 4.0. - Foto: © Evonik Industries AG
„Die Unternehmen sollten sorgfältig überlegen, wo ihnen der Einsatz von digitalen Technologien im Geschäft weiterhelfen kann.“- Dr. Henrik Hahn, Corporate Strategy Evonik Industries AG, neuer Vorsitzender der VCI-Task-Force Industrie 4.0. - Foto: © Evonik Industries AG

chemie report: Herzlichen Glückwunsch zum Task-Force-Vorsitz. Was bedeutet Industrie 4.0 für Sie?

Henrik Hahn: Mit diesem Ausdruck verbinde ich den Einsatz digitaler Technologien und datenbasiertes Wirtschaften. Das sind Dinge, die auch in unserer Industrie zunehmend relevant werden.

Wie weit ist die Digitalisierung in der Chemie heute schon fortgeschritten?

Das Thema ist in unseren Kundenindustrien schon weit fortgeschritten – getrieben durch Bedürfnisse der Endkunden. Und das pflanzt sich dann durch die Wertschöpfungskette bis zu uns fort. Ein Beispiel ist die Automobilindustrie. Dort ist es herrschende Meinung, dass wir differenzierte Mobilitätsansprüche der Kunden bedienen müssen.

Wie kann Digitalisierung neue Akzente in der Chemie setzen? Die Automatisierung ist ja schon sehr hoch.

Das stimmt. Industrie 4.0 setzt auf der Automatisierung auf. Es ist die nächste intelligente Stufe der Weiterentwicklung, bei der es zu einer Vernetzung von Komponenten in den Produktionsanlagen kommt. Zunächst auf dem eigenen Werksgelände. Aber im nächsten Schritt auch über Unternehmensgrenzen hinaus. Es wird künftig möglich, die einzelnen Wertschöpfungspartner miteinander zu verbinden. Das ist das Neue.

Wo knüpft hier die Arbeit der Task-Force Industrie 4.0 an?

Wir sind noch in der Phase, dass wir das Thema für unsere Industrie übersetzen. Dabei werden nicht nur technologische Aspekte diskutiert, sondern auch Fragen kultureller Prägung. Zum Beispiel die Art und Weise, wie sich Arbeit gestalten wird oder wie wir mit unseren Kunden und Lieferanten in Zukunft umgehen. Rechtliche Fragen oder IT-Sicherheit gehören ebenfalls dazu.

Was sind die wichtigsten Themen, die anliegen?

Die erste Aufgabe ist, die Begriffe Digitalisierung und Industrie 4.0 für uns in konkrete Beispiele zu übersetzen. Aktuell herrscht landläufig eine gewisse Schlagwortrhetorik vor, die uns nicht weiterhilft.

Gibt es schon Anwendungsbeispiele oder werden die momentan erarbeitet?

Beides. Da gibt es einerseits die Themen Automatisierung und Vernetzung in der Produktion. Immer verbunden mit der Frage: Was nützt es uns denn? Ein schönes Beispiel ist etwa W-Lan im Produktionsumfeld. Als nächstes gibt es den Bereich „digital angereicherte Produkte". Der ist insofern schwierig, weil uns allen noch etwas die Vorstellung fehlt, wie man so etwas monetarisieren kann. Nicht zuletzt geht es um das Geschäftsmodell an sich. Das ist schwieriger zu fassen, weil wir hier im B2B-Bereich unterwegs sind und uns die prominenten und häufig zitierten Beispiele aus dem B2C-Kontext nicht viel weiter helfen. Es geht darum, Geschäftsmodell-Innovationen in der Chemie zu finden.

Welche Signale möchte die Task-Force für die Chemie an die Politik senden?

Besonders wichtig ist es, keine vorschnelle Regulierung einzuführen, zum Beispiel aufgrund einer übertriebenen Vorsorgementalität. Die Regelungen könnten sich nämlich später als nicht praktikabel herausstellen. Ein weiteres Thema ist die Infrastruktur. Da sind wir im internationalen Wettbewerb nicht immer ganz vorne dabei. Nehmen Sie etwa die Breitband-Internetanbindung.

Sie sind Referent beim VCI-Mittelstandstag 2016. Wie sollte sich ein Chemie-Mittelständler auf die Digitalisierung vorbereiten?

Er sollte sich vor allem nicht von dem Hype um Digitalisierung anstecken lassen. Stattdessen sollte er sorgfältig überlegen, wo der Einsatz von digitalen Technologien ihm in seinem Geschäft helfen kann, etwa durch die Analyse und intelligente Nutzung von Daten. Die Vernetzung mit Unternehmen aus der Gründerszene kann hier helfen, Ideen zu entwickeln und umzusetzen.

Letzte Frage. Bitte vervollständigen Sie diesen Satz: Im Jahr 2030 ist Industrie 4.0 in Deutschland …?

... mehr als angekommen. Wir haben dann hoffentlich einen Kulturwandel vollzogen und die Veränderungen, über die wir heute sprechen, Realität werden lassen.

Das Gespräch führte Oliver Claas.

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Exklusiv für die Mitgliedsunternehmen des VCI findet am 23. Juni 2016 in Frankfurt der VCI-Mittelstandstag mit den Schwerpunktthemen „Digitalisierung und Industrie 4.0" und „Innovation" statt. Hier geht es zu Programm und Online-Anmeldung, die noch bis zum 17. Juni 2016 möglich ist.