Kollektiver Rechtsschutz

Sammelklagen im Verbraucherrecht

13. April 2018 | Position

Langfassung zu diesem Dokument

Mit der Einführung einer Musterfeststellungsklage in Deutschland soll die kollektive Rechtsdurchsetzung bei Verbraucherstreitigkeiten gestärkt werden. Nach Ansicht des VCI bedarf es einer genauen Prüfung, wie Musterfeststellungsverfahren ausgestaltet werden müssen, um Verbraucherinteressen zu fördern und Missbrauchsgefahren effektiv zu vermeiden. Einer wenig hilfreichen „Klageindustrie" nach dem Vorbild der Sammelklagen in den USA gilt es entgegenzuwirken.

„Einer für alle"? - Nach Ansicht des VCI muss genau geprüft werden, wie sogenannte Musterfeststellungsklagen gestaltet werden müssen, um Verbraucherinteressen zu fördern und den Missbrauch dieses Instruments effektiv zu vermeiden. - Foto: © Africa Studio - Fotolia.com
„Einer für alle"? - Nach Ansicht des VCI muss genau geprüft werden, wie sogenannte Musterfeststellungsklagen gestaltet werden müssen, um Verbraucherinteressen zu fördern und den Missbrauch dieses Instruments effektiv zu vermeiden. - Foto: © Africa Studio - Fotolia.com

Der VCI hat zu diesem Thema ein ausführliches Positionspapier erarbeitet. Die wesentlichen Aussagen daraus in der Zusammenfassung:

Sammelklagen nach US-Vorbild vermeiden

Eine effektive Entschädigung von Verbrauchern im Fall der Verletzung ihrer Rechte durch Unternehmen, einschließlich effizienter Rechtsdurchsetzungsmöglichkeiten, ist nach Ansicht des VCI wesentlicher Teil einer funktionierenden Rechtsordnung. Dabei ist jedoch das Missbrauchspotenzial kollektiver Rechtsdurchsetzung zu minimieren.

Der VCI begrüßt daher den weitgehenden Konsens darüber, dass besonders Sammelklagen nach US-amerikanischem Vorbild zu vermeiden sind. Es darf nicht zu einer Klageindustrie kommen, die den geschädigten Verbrauchern im Ergebnis nicht nutzt, aber den Unternehmen massiv schadet.

Welche Auswüchse das US-System angenommen hat, illustriert die Tatsache, dass Klägeranwälte in den vergangenen Jahren bis zu US-Dollar 100 Millionen ausgegeben haben, um Klagen in Massenschadensfällen im US-Fernsehen zu bewerben.

Musterfeststellungklagen für Verbraucher

Hinsichtlich der Effektivität der Durchsetzung von Verbraucheransprüchen im Bereich von Streu- und Massenschäden sieht der VCI offene Fragen. In erster Linie kommt eine Stärkung der bestehenden Instrumentarien des Prozessrechts, wie der Streitgenossenschaft in Betracht.

Dagegen bedarf es einer genauen Prüfung, ob die insoweit oft genannten Musterfeststellungsverfahren – selbst bei Vermeidung wesentlicher Merkmale von US-Sammelklagen – tatsächlich geeignet sind, die genannten Verbraucherinteressen zu fördern und andererseits Missbrauchsgefahren effektiv zu vermeiden. Dabei sind folgende Punkte zu beachten:

Zielerreichung hinterfragen

Für Streuschäden mit besonders niedrigen Einzelschäden bietet die Musterfeststellungsklage keine Lösung. Die „rationale Apathie“ bei der Geltendmachung von Kleinstschäden kann mit ihr nicht überwunden werden. Für diese Schäden steht das – gegebenenfalls zu reformierende – Gewinnabschöpfungsverfahren zur Verfügung.

Im Bereich der Massenschäden ist die Verbesserung der Rechtsdurchsetzung durch die Einführung einer Musterfeststellungsklage zweifelhaft. Zum einen können individuelle Folgeprozesse zur Schadenshöhe nicht vermieden werden. Zum anderen besteht die Gefahr, dass die geschädigten Verbraucher auf einen erheblichen Teil ihrer Entschädigung verzichten müssen, wenn Prozessfinanzierer am Rechtsstreit beteiligt sind.

Auch eine vergleichsweise Beendigung von Rechtsstreitigkeiten können Musterklagen nur fördern, wenn gerichtliche Vergleiche die gleiche Bindungswirkung für alle Betroffenen des Rechtsstreits haben. Andernfalls besteht kein Anreiz für die Beklagten, sich mit der Klägerseite zu einigen.

Missbrauchsgefahren erkennen

Die Bündelung von Ansprüchen macht Sammelklagen attraktiv für Dritte. Je höher die Zahl der Geschädigten und je geringer die Zulässigkeitshürden für solche Klagen sind, desto höher ist die Attraktivität dieser Verfahren insbesondere für Klägerkanzleien, Gutachter und prozessfinanzierende Organisationen.

In Deutschland ist der Aufbau einer Klageindustrie bereits im Gang. Sie ist gekennzeichnet durch professionelle Klägerorganisationen, die mit der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen ganz eigene wirtschaftliche Interessen verfolgen – und eben nicht zum Wohle der Geschädigten agieren.

Die Rechtsdurchsetzung im Namen von Geschädigten ist mittlerweile wirtschaftlich derart attraktiv, dass sich bereits Hedge-Fonds an entsprechenden Klägerorganisationen beteiligen. Dies gilt zum Beispiel für das Investment in eine Klägerorganisation, die sich an einem Kapitalanleger-Musterverfahren von im Zuge des „Abgasskandals“ geschädigten Aktionären beteiligt hat. Im Erfolgsfall winkt ein Profit im mehrstelligen Prozentbereich im Verhältnis zum Kostenrisiko(1).

Die Akquise möglichst vieler geschädigter Verbraucher soll den Vergleichsdruck des Beklagten bei Gruppenklagen erhöhen. Schon das Bewerben von Klagen in der Öffentlichkeit kann bei den betroffenen Unternehmen aber zu gravierenden Reputationsschäden, zu Umsatzrückgängen sowie Einbrüchen am Aktienmarkt führen, selbst wenn sich die Klage in der Sache als haltlos erweisen sollte.

Quelle der Daten: “Litigation and Compliance Practices“, An Executive Survey by AlixPartners, November 2016; FAZ vom 17. Januar 2017, S. 18 - Klick auf die Infografik vergrößert sie! - Darstellung:
Quelle der Daten: “Litigation and Compliance Practices“, An Executive Survey by AlixPartners, November 2016; FAZ vom 17. Januar 2017, S. 18 - Klick auf die Infografik vergrößert sie! - Darstellung: © VCI

Undifferenzierten Anwendungsbereich vermeiden

Soweit trotz der geäußerten Bedenken Musterfeststellungsklagen im deutschen Recht verankert werden, sollte sich dies auf den B2C-Bereich beschränken. Für Rechtsstreitigkeiten zwischen Unternehmen besteht hierfür kein Bedarf.

Der Anwendungsbereich der Musterfeststellungsklage sollte zudem nicht sämtliche bürgerlich-rechtliche Ansprüche und Rechtsverhältnisse erfassen.

Insbesondere bei Personenschäden sind einheitliche Feststellungen für eine Vielzahl von Schadensereignissen aufgrund der individuellen Besonderheiten in der Regel nicht oder kaum möglich. Eine Zusammenfassung in einem Gruppenverfahren ist daher nicht geeignet und/oder prozessökonomisch gegenüber Einzelklagen nicht vorzugwürdig.

Eine Ausweitung des Anwendungsbereichs von Musterklagen auf Personenschäden ist daher zu vermeiden.

Beschränkung der Klagebefugnis auf Verbände nicht ausreichend

Die Beschränkung der Klagebefugnis auf Verbraucherverbände vermag die Missbrauchsgefahr von Musterfeststellungsklagen nicht per se zu vermeiden. Denn das Vorhandensein ausreichender personeller, finanzieller und organisatorischer Ressourcen für die Durchführung komplexer Massenverfahren wird bei Verbraucherverbänden eher die Ausnahme sein.

Genau hier werden Drittfinanzierer im Zusammenspiel mit den europäischen Ablegern US-amerikanischer Klägerkanzleien ihre Chance sehen und sich den Verbänden mit ihren Leistungen andienen, ob mittels der bekannten Abtretungsmodelle oder über die Vorfinanzierung von Musterklagen bis zur Bündelung der erforderlichen Folgeverfahren.

Eine allgemeine Musterfeststellungsklage droht daher zum komfortablen Vehikel für gewinnorientierte Drittorganisationen zu werden, die deren Interessen letztlich mehr nutzt als den Interessen der geschädigten Verbraucher.

Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz als Alternative

Sofern trotz der geäußerten Bedenken Gruppenklagen für Verbraucherstreitigkeiten erwogen werden, sollten sich diese auf Massenschadensfälle mit Einzelschäden beschränken, die über reine Streuschäden hinausgehen und sich am Beispiel des Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) orientieren.

Für geringfügige Streuschäden sollte das Gewinnabschöpfungsverfahren angewandt und weiterentwickelt werden.

Im Falle der Einführung von Musterfeststellungsklagen für Verbraucherstreitigkeiten muss der Gesetzgeber unnötige Klageanreize, wie die Drittfinanzierung solcher Klagen, dringend vermeiden. Recht darf nicht zum Investitionsobjekt werden. Außerdem ist darauf zu achten, dass die Zulässigkeitsschwellen für Massenklagen nicht zu niedrig angesetzt werden.

Folgende Voraussetzungen sind daher bei der Ausgestaltung von Musterklagen im Verbraucherbereich aus Sicht des VCI sicherzustellen:

Der Aufbau einer Klageindustrie muss zwingend vermieden werden: Keine Finanzierung von dritter Seite – Sammelklagen sollen nicht von Organisationen mit eigenen wirtschaftlichen Interessen finanziert werden können.

Der Anwendungsbereich muss auf den B2C-Bereich sowie Nichtpersonenschäden beschränkt bleiben.

Die Zulässigkeit ist an strenge Kriterien zu knüpfen, die ausreichend glaubhaft zu machen sind – dazu zählen:

  • die Betroffenheit einer dreistelligen Zahl individuell benannter Verbraucher;
  • eine Mindesthöhe der Einzelschäden;
  • das Vorliegen eines objektiven „Feststellungsinteresses“;
  • eine transparente Finanzierung unter Vermeidung finanzieller und organisatorischer Verflechtungen zwischen klagebefugten Organisationen, Prozessvertretern und gegebenenfalls beteiligten (Prozess-) Finanzierern;
  • Klagebefugnis nur für hinreichend qualifizierte und ausgestattete Vertreterorganisationen;

Gegen die gerichtliche Zulassung einer Sammelklage muss das Rechtsmittel zur Verfügung stehen.

Musterfeststellungsurteile und gerichtliche Vergleiche haben die gleiche Bindungswirkung für alle Betroffenen des Rechtsstreits.

Eine Streitwertbegünstigung auf Klägerseite darf es nur in engen Ausnahmefällen geben.


(1) vgl. U.S. Chamber, Institute for Legal Reform, “The growth of collective redress in the EU”, 3/2017, S. 30.


Das ausführliche Positionspapier des VCI mit einem Umfang von 16 Seiten finden Sie im Download-Bereich im Kopf dieser Seite.

Die Kurzfassung der VCI-Position zu Sammelklagen im Verbraucherrecht als Flyer
Die Kurzfassung der VCI-Position zu Sammelklagen im Verbraucherrecht als Flyer

Darüberhinaus können Sie die obenstehende Zusammenfassung der VCI-Position zu Sammelklagen hier in Form eines Flyers herunterladen.PDF | 886 kB | Stand: 11. April 2018




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RA Marcel Kouskoutis

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