11. Juli 2025 | Bericht
Verlässlich ist nur die Unberechenbarkeit: US-Zollpolitik wirbelt Weltwirtschaft durcheinander.

Der 1. August 2025 ist die neue Deadline für die Einführung zusätzlicher Zölle durch die USA und die Verhandlungen der USA mit der Europäischen Union und anderen Staaten. Die Frist zur Wiedereinsetzung der „reziproken Zölle“ am 9. Juli 2025 (wir berichteten) ist verschoben worden. Die Regierung in Washington hat diese Woche erste Briefe an Regierungen verschiedener Staaten geschrieben – darunter Japan, Korea und Südafrika – und die künftigen Zollhöhen ab dem 1. August 2025 annonciert. Die Briefe sind ein Hebel, um den Druck auf die Handels- und Verhandlungspartner zu erhöhen.
Brüssel hat bisher (Stand 11. Juli 2025, 9:00 Uhr) noch keinen Brief aus Washington bekommen. Zum Stand der Verhandlungen zwischen der EU und den USA sickern nur wenige Informationen durch. Ohnehin konnte die US-Regierung bislang nur wenige Deals schließen. Am Anfang stand am 8. Mai 2025 ein „Dealchen“ mit dem Vereinigten Königreich; es folgte ein weiterer mit Vietnam. Die USA und die VR China einigten sich nach einer turbulenten Eskalation im April seit Mitte Mai auf zwei Vereinbarungen, die jedoch in deutlich höhere Zölle als vor dem April mündeten.
Under Pressure
Seit April dieses Jahres gelten für US-Importe aus der EU Zölle auf Stahl und Aluminium von 50 Prozent, auf Automobile und Autoteile von 25 Prozent und ein allgemeiner Zollsatz von 10 Prozent. Darüber hinaus hatte Präsident Trump am 2. April 2025 gegenüber der EU weitere 10 Prozent angekündigt und später im Mai sogar 50-Prozent-Zölle angedroht.
Die EU hat in zwei Schritten Gegenmaßnahmen vorbereitet, diese aber ebenfalls ausgesetzt und intensive Verhandlungen aufgenommen. Wie die US-Zölle würden derartige Gegenmaßnahmen sowohl den transatlantischen Handel als auch die US- und die EU-Industrie weiter belasten.
Derzeit ist noch offen, wie ein EU-US-Deal aussehen könnte. Einerseits bauen die USA Drohkulissen auf. Andererseits sind ihre Ziele diffus; Druck und Unsicherheit sind Kernbestandteil der Verhandlungstaktik. Viele Beobachter nehmen an, dass der 10-Prozent-US-Basis-Zoll bleiben soll, ebenso vermutlich Teile der Zölle, die auf Basis der „nationalen Sicherheit“ (Sec. 232) eingeführt wurden. Würde dies wirklich umgesetzt, so lägen die US-Zölle auch nach dem 1. August 2025 deutlich über dem Level zu Jahresbeginn.
Die EU soll Vorschläge unterbreitet haben, die Käufe, Investitionen, Nullzölle und den Verzicht auf Vergeltungszölle umfassen. Offen ist, inwieweit auch Anpassungen bei eigenen Regulierungen zur Disposition stehen – ein Themenfeld, das von der US-Regierung des Öfteren angeprangert wurde. Kurzfristig soll die Kommission zunächst eine „Grundsatzvereinbarung“ anstreben. Zugleich ist das Meinungsbild unter den EU-Mitgliedern eher heterogen, was die Frage betrifft, zu welchen Zugeständnissen die EU bereit sein sollte. Bundeskanzler Merz hat beispielsweise wiederholt eine schnelle Vereinbarung zum Schutz der Industrieexportinteressen Deutschlands angemahnt.
Selbst wenn es bis zum 1. August 2025 zu einem Durchbruch käme, kann bestenfalls Durchatmen, aber nicht entspanntes Aufatmen die Devise sein. Ein symmetrischer Zolldeal scheint unwahrscheinlich, und diverse laufende US-Untersuchungen, etwa zu Pharmazeutika, können schnell neues Öl ins Feuer des transatlantischen Handelsstreits gießen. „Nach einem Deal“ muss „vor einem Deal“ sein.
Big Spender
Die US-Zollpolitik ist Teil einer weiteren Reformagenda: Nachdem der US-Kongress nach intensiven Verhandlungen die Zustimmung gegeben hatte, konnte Präsident Trump am amerikanischen Nationalfeiertag, dem 4. Juli 2025, die „One Big Beautiful Bill“ (OBBB), das umfassende US-Steuer- und Haushaltsgesetz, verabschieden. Mit diesem Gesetzespaket soll und kann ein Wachstumsimpuls im Land ausgelöst werden, von dem auch die deutsche chemisch-pharmazeutische Industrie profitieren könnte. Für Erleichterung sorgte, dass vorab die Sec. 899 – die sogenannte „Revenge Tax“ – entfernt wurde, die auch in den USA investierte EU-Unternehmen besorgt hatte und Investoren eher abgeschreckt als angelockt hätte.
Diesem Impuls stehen allerdings auch Risiken und Nachteile gegenüber: Die US-Zölle sollen zum Teil die Steuersenkungen der OBBB gegenfinanzieren. Zugleich enthält die OBBB Kürzungen bei den IRA-Programmen (Inflation Reduction Act) – der transformationspolitische Impuls der USA wird geschwächt, Planbarkeit unterminiert. Auch im Gesundheitsbereich soll es zu Kürzungen kommen. Die große Unbekannte ist, wie sich das weiterwachsende Defizit und seine Folgen auf die Finanz- und Devisenmärkte in den USA und weltweit auswirken werden. Einige Fachleute sehen die Gefahr einer Zunahme von Verwerfungen.
Ein Schiff wird kommen
Eine Folge der Trump’schen Zollpolitik: Die EU hat ihr Monitoring von Handelsströmen intensiviert, um schneller auf Störungen und Umlenkungen reagieren zu können. Damit diente Trumps Politik als Inkubator für Prozesse, um schneller auf wachsenden Importdruck – gerade aus China – reagieren zu können. Wichtig: China steht dabei nicht allein, aber wegen seiner großen Produktionskapazitäten besonders im Fokus.
EU-Unternehmen haben nun die Möglichkeit, frühzeitig auf Anomalien auf dem Binnenmarkt hinzuweisen. Dies gilt gerade auch für Chemieunternehmen – die EU zählte in dem am 8. Juli 2025 veröffentlichten „Chemical Industry Action Plan“ insgesamt 46 Anti-Dumping-Maßnahmen für chemische Produkte, die mit Stand 30. Juni 2025 Geltung haben.
Apropos China: Der US-chinesische Handelsstreit führte dazu, dass die Volksrepublik ihr neues Exportkontrollregime mit verschiedenen Rohstoffen praktisch anwendet. Exporte bestimmter kritischer Mineralien werden seit Ende 2024/Anfang 2025 nicht nur kontrolliert, sondern auch beschränkt – dies setzt wegen der dominanten chinesischen Marktposition auch EU-Weiterverarbeiter unter Druck. Berlin und Brüssel sollten nicht nur einseitige Abhängigkeiten reduzieren, sondern durch gute Standortpolitik daran arbeiten, dass nicht neue einseitige Abhängigkeiten bei chemisch-pharmazeutischen Produkten hinzukommen.
Kontakt
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Dr. Matthias Blum
Abteilungsleitung Außenwirtschaft, Außenwirtschaftspolitik, europäische/nationale Industriepolitik
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