31. Juli 2025 | Bericht
Zoll-Deal mit den USA: EU wendet Eskalation ab. Aber jetzt muss sie Muskeln aufbauen.

Am Abend des 27. Juli 2025 traten US-Präsident Trump und Kommissionspräsidentin von der Leyen in Schottland vor die Presse und verkündeten eine Einigung auf eine Grundsatzvereinbarung im Handelsstreit. Kurz darauf stellten beide Seiten ihre Interpretation der Einigung online. Nach erster Durchsicht gilt: Viele offene Fragen bleiben, es gibt offensichtliche Widersprüche, und die Frist zur Klärung, Präzisierung und Einleitung der Umsetzung auf beiden Seiten des Atlantiks bis zum 1. August 2025 ist extrem kurz.
Zölle gegen Zollabbau
Der Kern der Einigung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Für EU-Exporte in die USA soll ein 15-Prozent-Zoll für (fast) alles aus der EU inklusive Chemie und Automobile/-teile gelten. Auch für Güter wie Pharmazeutika, zu denen US-232-Untersuchungen laufen, soll nach Abschluss der Untersuchung die 15-Prozent-Obergrenze gelten. Die EU verzichtet im Gegenzug auf Gegenmaßnahmen und senkt ihre Zölle auf Industriegüter auf null. So weit, so schlecht.
Zudem soll es für „strategische Güter“, darunter „certain chemicals“ und einige (oder alle?) Generika eine Rückkehr zu den US-Zöllen von Ende 2024 geben, also zu den CTHA- und Pharma-Agreement-Zöllen im Rahmen der WTO. Die genaue Listung dieser „strategischen“ Güter ist bisher noch unbekannt, ebenso der Zeitplan der Veröffentlichung. Weitere Themen des Deals sind Energieimporte und Investitions„zusagen“ der EU oder Kooperationen zu wirtschaftlicher Sicherheit und andere mehr. Es empfiehlt sich sehr, einen eigenen Blick auf das Q&A-Dokument der EU zum „Deal“ zu werfen.
Manche Kommentatoren verkündeten schnell einen „Sieg“ Trumps. Die Verschlechterung gegenüber dem Stand bis Anfang dieses Jahres wird für die EU in Milliardenverluste übersetzt. Klar ist: Verglichen mit dem Stand Ende 2024 verschlechtert sich die Lage der EU-Exporteure. Die US-Zölle auf EU-Chemie- und -Pharmaexporte steigen. Zugleich muss auch klar sein: Aus ökonomischer Sicht sind Zölle nicht besser als Nullzölle – letztendlich werden beide Seiten belastet.
Noch Schlimmeres verhindert
Zugleich wurde Schlimmeres verhindert – zumindest gemessen an den Drohungen von Trump in den vergangenen Monaten von 20, 30 oder 50 Prozent und an einigen seiner ersten „Deals“ mit anderen Ländern. „Wer mit einem Hurrikan rechnet, ist für ein Unwetter dankbar,“ wie es VCI-Hauptgeschäftsführer Große Entrup anschaulich formulierte.
Eine Umsetzung der US-Drohungen hätte zu noch höheren Exporteinbußen geführt, EU-Gegenmaßnahmen hätten die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Industrie weiter gemindert. Und prospektiv sollten die Zölle für EU-Pharmazeutika auch in Folge der 232-Untersuchung jetzt nicht mehr über 15 Prozent steigen. Allerdings droht hier weiteres Ungemach aus der US-Gesundheitspolitik.
Letztendlich ist der Deal der Ausdruck der derzeitigen geopolitischen Machtverhältnisse, nicht aber der ökonomischen. Dies mag man nicht mögen, es sollte aber die Augen für die grundlegenden Probleme der EU in einer veränderten Weltordnung öffnen, um Lösungen zu finden.
Nichts Genaues weiß man nicht
Zugleich sind seit dem 27. Juli 2025 viele neue und bis dato offene Interpretationsfragen zur Einigung entstanden – es ist eben ein „Deal“ und kein Handelsabkommen. Offizielle Texte liegen bisher nicht vor, die Erläuterungen der Einigung durch beide Parteien unterscheiden sich zum Teil. Daher ist kurzfristig die Unsicherheit wegen Interpretationsspielräumen und zu füllenden Lücken weiter groß. Zum aktuellen Stand gilt außerdem: Ohne eine dringend erwartete Executive Order des US-Präsidenten würden ab dem 1. August 2025 die ausgesetzten 20-Prozent-Zusatzzölle für US-Importe gelten.
Und auch langfristig wird die Unsicherheit wohl bestehen bleiben: Zur Haltbarkeit von „Deals“ gibt es noch keine Erfahrungswerte. Derzeit warten der VCI und die Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie wie alle Wirtschaftsbeteiligten händeringend auf weiterführende Informationen, was genau wann auf welcher möglichst rechtssicheren Basis umzusetzen sein wird.
Was folgt?
Der Deal ist besser als ein Handelskrieg. Das Ergebnis ist schlecht, aber alternative Wege, die zu einem besseren geführt hätten, sind kaum erkennbar. Momentum und geopolitische Hebel lagen in den Händen der US-Regierung. Vergossener Milch nachweinen hilft wenig, der Blick nach vorne zeigt auf, was Europa tun muss: Einerseits den Industrie- und Innovationsstandort EU stärken und sicherheitspolitisch souveräner werden.
Handelspolitisch muss sie neue Partnerschaften schließen und bestehende vertiefen. Eine stärkere Hinwendung nach China infolge der Einführung neuer US-Zölle gegenüber Europa dürfte keine glaubwürdige oder zielführende Implikation aus dem Zollkonflikt sein. Die EU sollte sich aber mit Nachdruck um eine Koalition der Mittelmächte bemühen, die an regelbasiertem Handel weiter Interesse haben. Und kurz- und mittelfristig muss es für unsere Branche darum gehen, für möglichst viele chemische und pharmazeutische Produkte beidseitig Null- oder CTHA-Zölle zu vereinbaren – idealerweise im Schulterschluss von europäischen und US-Verbänden.
Erläuterungen:
- 232-Untersuchungen: Untersuchung auf Basis von Sec. 232 des US-Handelsrechts: Zölle zur Stärkung der „nationalen Sicherheit“
- CTHA: Chemical Tariff Harmonisation Agreement
Kontakt
Für Fragen und Anregungen nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

Dr. Matthias Blum
Abteilungsleitung Außenwirtschaft, Außenwirtschaftspolitik, europäische/nationale Industriepolitik
- E-Mail: mblum@vci.de