Nagoya-Protokoll

Austausch digitaler Sequenz­informationen

28. Juni 2018 | Bericht

Langfassung zu diesem Dokument

Unter dem Dach der internationalen Handelskammer haben sich eine große Zahl öffentlicher und privater Organisationen sowie akademische und wissenschaftliche Einrichtungen zusammengeschlossen, um die Vorteile des offenen Austauschs Digitaler Sequenzinformationen (DSI) in Wissenschaft und Forschung für alle Länder weltweit darzulegen. Hindernisse, beispielsweise durch erschwerte Zugangsbedingungen, erschweren die Nutzung von DSI und verlangsamen Innovationen und wissenschaftliche Forschung.

Hintergrund

Die öffentlichen und privaten Organisationen, akademischen und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie Datenarchive und -sammlungen, welche die vorliegende Stellungnahme unterzeichnen, vertreten Interessensgruppen, die sich aktiv für die Erhaltung und/oder die nachhaltigen Nutzung genetischer Ressourcen einsetzen oder diese unterstützen, um das Potential genetischer Ressourcen für die Gesellschaft in verschiedenen Bereichen nutzbar zu machen.

Die meisten von ihnen sind seit vielen Jahren aktiv und kollaborativ an Verhandlungen in Zusammenhang mit dem Zugang zu genetischen Ressourcen und Vorteilsausgleich (Access and Benefit Sharing/ABS) beteiligt. Sie stellen ihr Fachwissen zur Verfügung und gewähren Einblicke hinsichtlich der Systeme und Praktiken, die am meisten zu einem erfolgreichen ABS-Regime für genetische Ressourcen beitragen könnten.

Sie beobachten aufmerksam die Aktivitäten gemäß den Beschlüssen der Konferenz der Vertragsstaaten des Übereinkommens über die biologische Vielfalt (CBD) (Beschluss XIII/16) und des Nagoya-Protokolls (NP) (Beschluss NP-2/14), die folgendes festlegen: „prüfe jegliche mögliche Auswirkungen der Nutzung digitaler Sequenzinformationen genetischer Ressourcen auf die ersten drei Ziele des CBD sowie das Ziel des NP“. Auch haben sie Kenntnis von dem Bericht der AHTEG, an dem einige Experten der o. g. Organisationen unmittelbar mitgearbeitet haben.

Als Stakeholder in einer Schlüsselrolle sind die Unterzeichner wachsam gegenüber den möglichen schädlichen Folgen einer unangemessenen oder übermäßig belastenden Regulierung genetischer Ressourcen. Aus diesem Grund sehen sie Vorschläge, die ABS-Verpflichtungen auf digitale Sequenzinformationen (DSI) anzuwenden, mit großer Besorgnis. Derartige Verpflichtungen würden zusätzliche Hürden für die biologische Forschung schaffen – mit nicht auszuschließenden negativen Folgen für den wissenschaftlichen Fortschritt und dessen großen Wert für die Gesellschaft sowie für die Verwirklichung der drei Ziele des CBD.

Stellungnahme zu dem Thema

Vom uneingeschränkten Zugang zu und der Nutzung von sich derzeit im öffentlichen Bereich befindlichen DSI, profitieren Staaten auf allen Entwicklungsebenen – dies unterstützt die Erhaltung sowie die Forschung an technologischen Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen und ist ein Gewinn für die gesamte Bevölkerung. Forscher sammeln DSI und nutzen sie umfassend, um die Wissenschaft voranzutreiben und das wissenschaftliche Verständnis biologischer Systems zu verbessern. Die Geschwindigkeit des wissenschaftlichen und technischen Fortschritts hängt in einem hohen Maß vom uneingeschränkten Zugang zu und der Nutzung von öffentlich verfügbaren DSI ab. Hindernisse auf den Zugang zu und Nutzung von DSI wären abträglich für Innovation und wissenschaftliche Forschung. Weitreichende Nach- und Rückverfolgungs-Mechanismen wären erforderlich. Selbst wenn diese Mechanismen verwirklicht werden könnten, würden sie letztlich dazu führen, dass nachgeschaltete Verwendungen komplexer und teurer werden und Produkte und Technologien schwerer zugänglich sind. Es könnte zu einer negativen Nettowirkung auf die Bewahrung und nachhaltige Nutzung der Artenvielfalt kommen. Dies stünde im Widerspruch zu den Zielsetzungen von CBD und NP sowie mehreren Zielen für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. (1)

Empfehlungen

Die Unterzeichnerorganisationen empfehlen, dass der „Subsidiary Body on Scientific, Technical and Technological Advice (SBSTTA)" die Wichtigkeit eines weiterhin offenen Zugangs zu und der Nutzung von DSI für den Fortschritt in Forschung und Entwicklung erkennen möge, der dazu beiträgt, die Zielsetzungen von CBD und NP zu verwirklichen. Diese Empfehlung sollte:

  1. Die Wichtigkeit einer ungehinderten Verbreitung und Nutzung von DSI bestätigen – auch für das Erreichen der Zielsetzungen von CBD und NP.
  2. Ausdrücklich anerkennen, dass der offene Austausch von DSI eine Form der nicht-monetären Nutzenteilung darstellt.
  3. Zum Ausdruck bringen, dass die Notwendigkeit für mehr faktenbezogene Informationen besteht, um zu erläutern, wie DSI in der biologischen Forschung gesammelt, gewonnen, geteilt und genutzt werden und um den Wert des uneingeschränkten Zugangs zu und der Nutzung von DSI in den Bemühungen um das Erreichen der Ziele von CBD und NP aufzuzeigen. Dieser Wert entsteht beispielsweise durch Erleichterungen in der biologischen Forschung, taxonomische Studien für ein tieferes Verständnis der Artenvielfalt und eine internationale Forschungszusammenarbeit. Die Einreichungen zahl¬reicher verschiedener Stakeholder nennen bereits diesbezügliche Beispiele.
  4. Die wichtige Rolle großer, weltweiter Datenbanken, die öffentlich zugänglich sind und DSI enthalten, dahingehend anerkennen, dass sie ein wirkungsvolles und für alle Interessenten offenes System für die gemeinsame Nutzung von DSI weltweit bieten.
  5. Die Schaffung von Kapazitäten fördern, um den Zugang zu und die Nutzung von DSI insbesondere für Entwicklungsländer weiter zu verbessern. Hier sollte der Schwerpunkt auf deren Bedürfnissen liegen.
  6. Die Empfehlung aussprechen, dass sich internationale und nationale Bemühungen auf eine wirksame und international kohärente Umsetzung des vorhandenen Rahmens für ABS konzentrieren, um die Ziele des CBD zu erreichen – anstatt neue Verhandlungen über den Geltungsbereich des CBD zu beginnen.

Begründung

Die Unterzeichnerorganisationen möchten betonen, dass das Ergebnis der Diskussion über DSI sehr bedeutsame Auswirkungen auf die Zukunft der biologischen Forschung und deren Nutzen für die Gesellschaft hat. Aus diesem Grund werden die Vertragsstaaten des CBD nachdrücklich ersucht, die folgenden Punkte in ihre Überlegungen einzubeziehen:

  1. Wie bereits zuvor festgestellt, sind DSI ein kritisches Instrument für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung genetischer Ressourcen; dessen Anwendung schafft gegenwärtig einen vielfältigen gesellschaftlichen Nutzen. Eine Behinderung des Flusses und der Nutzung von Informationen hätte nachteilige Folgen für Forschungsprojekte in mehreren verschiedenen Bereichen, von denen viele zur Erreichung der Ziele von CBD und NP beitragen. Das CBD ermutigt ausdrücklich den Austausch von Informationen zur Unterstützung der Erhaltung, des Schutzes und der nachhaltigen Nutzung der Artenvielfalt. (2) Es ist von größter Wichtigkeit, dass sich gegenwärtig im öffentlichen Bereich befindliche DSI auch weiterhin frei zugänglich bleiben, um die umfassenden Ziele des CBD zu verwirklichen.
  2. Falls durch eine Regulierung, die Nutzung von DSI rechtlich unsicherer, zeitaufwändiger, verwaltungstechnisch schwieriger und kostspieliger wird, hätte dies eine dämpfende Wirkung auf die Verwendung von DSI in der biologischen Forschung und würde zu einem geringeren Nutzen führen. Alle Länder verlassen sich auf den ungehinderten Zugang zu und den Austausch von DSI und ziehen ihren Nutzen daraus, wenn es um die Lösung gesellschaftlicher Schlüsselfragen geht (z. B. Gesundheit von Mensch, Tier und Pflanzen, Ernährungssicherheit und Umwelt). Ein bewährter und funktionierender internationaler Rahmen für den offenen Austausch von DSI ist bereits vorhanden. Er steht in Einklang mit den anerkannten Grundsätzen ethischer und verantwortungsvoller wissenschaftlicher Forschung, die grundlegend für den wissenschaftlichen Fortschritt sind. Der offene Austausch ist besonders wichtig für DSI. Deren uneingeschränkte Nutzung ermöglicht die rasche Sammlung, den Vergleich und die Reanalyse genetischer Informationen aus vielfältigen Quellen, verschiedenen Datenbanken und unter Einbeziehung verschiedener Gensequenzen.
  3. Alle Staaten können einen beträchtlichen „nicht-monetären Nutzen“ aus dem offenen Austausch von öffentlich verfügbaren DSI ziehen. Die umfassende öffentliche DSI-Datenbank von INSDC (International Nucleotide Sequence Database Collaboration), die von drei Regierungen als Host finanziert wird, steht Forschern in allen Ländern kostenlos zur Verfügung. Im Zeitraum von 2014 bis 2016 nahmen 172 Staaten aus allen Regionen Zugriff auf diese Datenbank. (3) Der offene Austausch von DSI ist ebenfalls notwendig für Aktivitäten in der internationalen Forschungszusammenarbeit. Diese ermög-lichen nicht nur ein Pooling von Fachkenntnissen und Ressourcen zur Lösung von Problemen mit globaler oder regionaler Relevanz, sondern sind auch unentbehrliche Vehikel für die Schaffung von Kapazitäten und den Austausch von Wissen und Kompetenz. Gleichfalls können Länder durch Technologien und Produkte, die mittels Forschung unter Zuhilfenahme eines öffentlichen Austausches von DSI entstehen, einen Nutzen ziehen – und zwar unabhängig davon, wo die Forschungsarbeiten durchgeführt werden. Eine weitreichende Regulierung von DSI wird wahrscheinlich zu einer dramatischen Verringerung der in öffentlichen Datenbanken verfügbaren Informationen führen. Folglich besteht die Gefahr, dass sich der beträchtliche nicht-monetäre Nutzen, wie er gegenwärtig für Entwicklungsländer entsteht, verringern könnte.
  4. Akademische und öffentliche Einrichtungen nehmen eine Schlüsselrolle für Forschung und Entwicklung ein. Sie wären von ABS-Verpflichtungen für DSI erheblich betroffen. Gleichfalls würden solche Verpflichtungen die inter-nationale Zusammenarbeit zwischen diesen Einrichtungen schwerwiegend beeinträchtigen.
  5. Innerhalb des vorhandenen Rahmens des NP können Ursprungsländer genetischer Ressourcen bereits jetzt Regelungen über einen Vorteilsausgleich in Zusammenhang mit DSI in gegenseitige Vereinbarungen aufnehmen. Eine Aufnahme von DSI in den Anwendungsbereich des CBD und/oder NP würde erneute Verhandlungen über deren Geltungsbereich zwischen den Vertragsstaaten des CBD und NP erforderlich machen. Zahlreiche juristische Auslegungen bestätigen, dass sich die Definition des Begriffes „genetische Ressourcen“ auf greifbare Materialien bezieht, ohne immaterielle Informationen zu umfassen. Verhandlungen über eine Änderung dieser Definition würden Jahre oder sogar Jahrzehnte in Anspruch nehmen. Überdies wäre es nützlicher, die hierfür aufzuwendenden Ressourcen für eine effiziente Umsetzung wirksamer und machbarer Maßnahmen zur Erreichung der drei Ziele von CBD einzusetzen.


(1) Darunter z. B. Ziel 2 (Hunger beenden und Ernährung sichern), Ziel 3 (Gesundheit), Ziel 13 (Klimawandel) und Ziel 15 (biologische Vielfalt, Wälder und Wüstenbildung)

(2) Artikel 17 des Übereinkommens über die biologische Vielfalt

(3) Als Mitglied von INSDC (International Nucleotide Sequence Database Collaboration; dem Anbieter der internationalen DSI Datenbank) stellten wir fest, dass im Zeitraum von 2014 bis 2016 insgesamt 172 Staaten die Datenbank nutzten (Europa 46, Asien 43, Süd-/Mittelamerika 35, Afrika 32, Ozeanien 14 und Nordamerika 2; Zugriff auf Webseite: 1.621.300) laut Prüfung der Nutzung der DDB (DNA Data Bank of Japan, betrieben von dem National Institute of Genetics) von außerhalb Japans – Auszug aus der Vorlage der japanischen Regierung zu „Current state of the use of digital sequence information on genetic resources in the biodiversity field“.

Kontakt

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Dr. Ricardo Gent

Kontaktperson

Dr. Ricardo Gent

Biotechnologie, Geschäftsführung DIB