VCI Hessen Position

Industrie im Aufbruch

05. Juni 2025 | Position

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Innovationen entfesseln, Digitalisierung stärken, nachhaltige Technologien ausbauen

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Damit Unternehmen am Standort Deutschland investieren und innovieren, brauchen Sie die richtigen Rahmenbedingungen. Ansätze, wie ein funktionierendes Innovationsökosystem geschaffen werden kann, liefert die VCI-Innovationsagenda.

Die Chemie- und Pharmaindustrie steht am Anfang vieler Wertschöpfungsketten und spielt eine zentrale Rolle in der Entwicklung von Innovationen, zum Beispiel in der Batterie- und Chipproduktion, in der Auto- und Elektronikindustrie, bei Konsumgütern sowie im Bau- und Gesundheitswesen. Doch der Druck auf die hohe Innovationskraft wächst angesichts massiver Herausforderungen durch eine klimaneutrale, digitale und nachhaltige Wirtschaftsweise sowie die demografische Lücke bei MINT-Fachkräften. Um dem standzuhalten und im internationalen Wettbewerb zu bestehen, ist die Branche auf gute Rahmenbedingungen für Forschung und Innovationen angewiesen.

Investitionen in die Innovationskraft der Branche sind entscheidend für Klimaschutz und Nachhaltigkeit und um weiterhin erfolgreich im globalen Wettbewerb zu bestehen. Allerdings rutscht Deutschland in Standort- und Innovationsrankings langsam, aber stetig ab, da immer mehr Fachkräfte, Venture-Capital-Investitionen und ausreichend finanzierte Förderprogramme in Schlüsseltechnologien sowie strategisches Denken und Handeln in der Innovationspolitik fehlen.

Das kürzlich angekündigte Finanzpaket von 500 Mio. EUR durch den EU-Forschungsrat im Rahmen der EU-Initiative „Choose Europe“ ist ein erster Schritt zur Förderung von Spitzenforschung. Die Beseitigung von regulatorischen Hürden und die Erleichterung des Zugangs zu Risikokapital für innovative Start-ups durch ein EU-Innovationsgesetz sowie eine Start-up- und Scale-up-Strategie zahlen ebenfalls auf den Ausbau des europäischen Innovationsökosystems ein. Noch hat Deutschland forschungsstarke Unternehmen, eine starke Grundlagenforschung und ein breites und gut funktionierendes Industrienetzwerk.

Das allein reicht jedoch nicht, um im Innovationswettbewerb mithalten zu können. Es müssen insgesamt gute Rahmenbedingungen für Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit gegeben sein. Die politische Agenda muss Innovationen wieder in den Vordergrund rücken.

Technologieoffenheit und -neutralität sowie Forschungsfreiheit müssen dabei Leitmotive sein, auch um die Innovationsbereitschaft und Akzeptanz neuer Technologien in der Gesellschaft zu fördern. Wir brauchen international wettbewerbsfähige Standortbedingungen, vor allem in den Bereichen Finanzierung, Steuerpolitik, Marktgestaltung, Fachkräfte, Genehmigungsverfahren und Infrastruktur, um die nötigen finanziellen Anreize und Bedingungen zu schaffen, damit innovative Produkte und Technologien bis zur Marktreife gebracht werden können. Es braucht ein optimiertes, international wettbewerbsfähiges Innovationsökosystem mit folgenden Zutaten:

  1. Regulierung und Bürokratie innovationsfreundlicher gestalten
  2. Den Weg für Märkte ebnen, Wettbewerb ermöglichen
  3. Förderprogramme strategisch und planungssicher gestalten
  4. Transfer stärken: mehr Kooperationen und bessere Finanzierung
  5. Talente gewinnen, fördern und binden
  6. Schutz geistigen Eigentums als integralen Bestandteil der Standort- und Innovationspolitik verstehen
  7. Infrastruktur verbessern

Die laufende Transformation der Chemie-Branche tritt in eine Phase ein, in der tiefgreifende Veränderungen der Beschäftigungsstruktur bevorstehen. Von den Management- Entscheidungen heute wie auch von den politischen Rahmenbedingungen hängt ab, wie viele und welche Arbeitsplätze die Branche künftig bieten kann. Laut der BAVC- Transformationsstudie Chemie-Arbeitswelten 20302 wird die Chemie bis 2030 einen um 25.000 FTE höheren Beschäftigungsbedarf haben – ein Plus von sechs Prozent, wenn die Transformation gelingt. Gelingt der Umbruch nicht, droht im schlimmsten Fall ein Rückgang des Arbeitskräftebedarfs bis 2030 um 63.000 FTE (15 Prozent).

Die Politik kann und muss durch verbesserte Rahmenbedingungen Einfluss nehmen. Neben wettbewerbsfähigen Energie- und Rohstoffkosten und guter Infrastruktur braucht es insbesondere ein modernes Arbeitszeitrecht, mehr Vermittlung digitaler Kompetenzen schon in der Schule und mehr qualifizierte Zuwanderung, die konsequent am Arbeitsmarkt ausgerichtet ist. Zudem sollte die Politik ihren Handlungsspielraum nutzen und das inländische Erwerbspersonenpotenzial besser ausschöpfen: Stärkung des MINT- Nachwuchses, bessere Betreuungsmöglichkeiten und Verlängerung der Lebensarbeitszeit.

Neben den politischen Rahmenbedingungen braucht es von den Unternehmen mutige Initiativen, um die Attraktivität der Branche zu steigern. Die Unternehmen müssen sich mit klarer Arbeitgebermarke, flexiblen Arbeitsmodellen (besonders in der Produktion) sowie zeitgemäßer Kommunikation und Führungskultur attraktiv positionieren, um Talente zu gewinnen und zu halten. Dazu gehört auch ein Kulturwandel der eher konservativen Branche. Zudem muss die Branche noch mehr in die eigene Ausbildung investieren und ihr Weiterbildungsengagement in den nächsten Jahren deutlich erhöhen.

Chemie- und Pharmaindustrie haben eine große Relevanz für Wohlstand und die nachhaltige Transformation des deutschen Industriestandorts. Zwar verfügt Deutschland noch über eine starke und wettbewerbsfähige Chemie- und Pharmaindustrie – das belegt u.a. deren führende Rolle bei den Exporten und dem deutschen Außenhandelsüberschuss. Aktuell sehen sie sich jedoch, genau wie die gesamte Industrielandschaft, mit Themen konfrontiert, die ihre Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland nachhaltig erschweren. Die gemeinsame Studie zum Industriestandort Deutschland3 der BCG und des VCI identifiziert wachsende bürokratische Hürden, hohe Produktionskosten, geopolitische Spannungen, die die Lieferketten beeinträchtigen, sowie den zunehmenden Fachkräftemangel als die drängendsten Herausforderungen. Die größte Herausforderung bleibt jedoch die digitale und nachhaltige Transformation. Sie erfordert von den Unternehmen umfangreiche Innovationen und Investitionen, die sich unter den derzeitigen Rahmenbedingungen nur sehr schwer realisieren lassen.

Um diesen komplexen Problemen effektiv entgegenzuwirken und die Zukunft der Chemie- und Pharmaindustrie in Hessen und Deutschland abzusichern, ist ein gemeinsames Vorgehen notwendig, bei dem Wirtschaft, Politik und Wissenschaft eng zusammenarbeiten. Deutschland gilt als eine der weltweit führenden Industrienationen. Dabei nehmen die Chemie- und die Pharmabranche mit einer jährlichen Bruttowertschöpfung von insgesamt 64 Milliarden Euro, einem Anteil von rund 10 % an der Gesamtindustrie Deutschlands sowie einer direkten Beschäftigung von knapp einer halben Million Arbeitskräfte eine bedeutende volkswirtschaftliche Stellung ein. Für Hessen sind die Zahlen ebenso imposant: Die Branche ist hier mit 32 Mrd. Euro umsatzstärkster Industriezweig und größter industrieller Arbeitgeber. Die Wettbewerbsfähigkeit am Standort Deutschland hat allerdings in den letzten Jahren nachgelassen. Dies ist auf verschiedene Herausforderungen zurückzuführen, denen der Industriestandort aktuell gegenübersteht. Die übergeordneten Herausforderungen sind die Energiekrise, Lieferketten, Bürokratie und Fachkräftemangel.

Die Branche hat in der Vergangenheit mehrere Transformationszyklen durchlaufen und sich wiederholt für die Stärkung unseres Industriestandorts Hessen und Deutschland eingesetzt. Dennoch haben sich die Rahmenbedingungen im internationalen Vergleich in jüngster Zeit verschlechtert, und aktuell sieht sich rund ein Drittel der deutschen Chemieproduktion von Abwanderung bedroht. Gleichzeitig schafft jedoch die digitale und nachhaltige Transformation vielfältige Chancen für ein werthaltiges Wachstum der deutschen Chemieindustrie, da ihre Vorprodukte für zahlreiche grüne Technologien unverzichtbar sind. Die angestoßene Transformation des Industriestandorts Hessen und Deutschland muss durch angepasste Rahmenbedingungen unterstützt werden.

Die handelnden Akteure (Wirtschaft, Politik, Wissenschaft) müssen gemeinsam Strategien entwickeln, um die strukturelle Polykrise erfolgreich zu lösen. Es bedarf eines ganzheitlichen Ansatzes, der sowohl kurzfristige Lösungen zur Bewältigung der aktuellen Herausforderungen als auch langfristige Strategien zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit Hessens und Deutschlands umfasst.

1) Stärkung des Innovationsstandorts

Die hessischen und deutschen Chemie- und Pharmaunternehmen müssen wieder zu globalen Innovationsmotoren werden, um einerseits ihre Wettbewerbsfähigkeit zurückzugewinnen und andererseits Vorreiter bei nachhaltigen Technologien zu sein. Dadurch wird der Standort Deutschland wieder attraktiv, und die Exportfähigkeit wird gestärkt.

Erforderlich sind dafür die folgenden Maßnahmen:

  1. Ein effizientes Innovationssystem und die Überführung von Innovationen aus der Forschung in die Wirtschaft,
  2. Innovation und Investition in neue, richtungsweisende Technologien,
  3. Verbesserung und Vereinfachung der regulatorischen Rahmenbedingungen.

2) Aufwertung des Produktionsstandorts

Die Standortbedingungen des Produktionsstandorts Hessen und Deutschland müssen nachhaltig verbessert werden, um im globalen Wettbewerb um Investitionen agil und kostenschonend mithalten zu können.

Zu den erforderlichen Maßnahmen gehören:

  1. Beschleunigung von Genehmigungsverfahren,
  2. Förderung des lokalen Produktionsaufbaus und der Bestandsmodernisierung,
  3. Stärkung der Energieinfrastruktur und -versorgung durch Investitionen.

3) Absicherung der Wertschöpfungskette

Die Wertschöpfungsketten in der Chemie- und Pharmaindustrie stehen aufgrund steigender Energie- und CO₂ -Preise sowie der potenziellen Abwanderung von Kernspielern unter erheblichem Druck.

Eine Antwort auf diese Entwicklung sollte zwei Aspekte betrachten:

  1. Die strategische Neuordnung von Wertschöpfungsketten sowie
  2. Die systematische Risikominimierung der Lieferketten.

4) Sicherstellung der Fachkräfteverfügbarkeit in der Pharma- und Chemieindustrie

Ein zentrales Element zur Sicherstellung der Fachkräfteverfügbarkeit besteht darin, Hessen und Deutschland als international hochattraktiven Ausbildungs- und Arbeitsmarkt für Talente in diesen Bereichen zu positionieren.

Zu den hierfür erforderlichen Maßnahmen zählen:

  1. Eine fokussierte, auf die Anforderungen der Wirtschaft bezogene Nachwuchsförderung und „Upskilling“ von Fachkräften sowie
  2. Die gezielte Anwerbung von ausländischen Fachkräften bei gleichzeitiger Vermeidung von Abwanderung.