Corona und weitere Einflüsse auf die chemischpharmazeutische Industrie in Hessen

29. Oktober 2020 | Bericht

Corona hat unsere Branche gebeutelt. Hessen ist mit einer hohen Kompetenz bei Industrie und Wissenschaft top aufgestellt. Die Pandemie war und ist eine der größten Bewährungsproben, die wir bisher erlebt haben. Viele unserer Mitgliedsunternehmen haben gleich am Anfang der Pandemie ihre Flexibilität unter Beweis gestellt.

 © Chemieverbände Hessen
© Chemieverbände Hessen

Sie haben sich beispielweise uneigennützig an der VCI-Plattform für Desinfektionsmittel beteiligt, haben dringend benötigte Produkte, Medizintechnik oder Dienstleistungen auch kostenlos zur Verfügung gestellt. Produktionslinien wurden umgestellt, Mitarbeiter - wo möglich - ausgerüstet, um von Zuhause zu arbeiten. Das war alles nicht selbstverständlich – hat aber Dank der Mitwirkung und Flexibilität aller Beteiligten funktioniert. Die angesprochene Plattform für Desinfektionsmittel hat der europäische Chemieverband Cefic mit einem Preis ausgezeichnet. Bundes- sowie Landesregierung haben diese Anstrengungen landauf, landab wahrgenommen. Hilfreich in der Krise war auch unser hessischer Ministerpräsident Volker Bouffier – ausgleichend und souverän. Die Zusammenarbeit mit ihm war und ist noch immer professionell und motivierend. Diese Erfahrung hat uns gezeigt, dass staatliche Institutionen und Privatwirtschaft gegenseitig noch besser von ihrer jeweiligen Expertise profitieren könnten.


Wo stehen wir aktuell mit Blick auf die Pandemie und deren Herausforderungen?


Stichwort Impfstoffe: Hessen hat eine Front-Runner-Position bei der Forschung und Herstellung von Impfstoffen. Kooperationen haben sich innerhalb Hessens ergeben: BioNTech plant, seinen Impfstoff in Marburg am bisherigen Novartis-Standort zu produzieren, Sanofi kooperiert mit GSK bei einer Entwicklung. Die Produktion soll in Frankfurt-Höchst angesiedelt sein. Sie haben heute gleich zwei Vertreter dieser Kooperation vor sich. Stichwort Genehmigungen: Wichtig an dieser Stelle zu erwähnen sind aber auch die notwendigen Genehmigungen zur Implementierung der Impfstoff-Produktion. Diese müssen nun Schritt halten mit den Anforderungen an den dringlichen Impfstoff-Bedarf. Wenn wir das Bundesimmissionsschutzgesetz anwenden, müssen wir nach Zulassung eines Impfstoffs noch einige Monate warten, bis die Produktion im großen Maßstab starten kann. Es darf nicht davon ausgegangen werden, dass diese einfach in bestehenden Anlagen hergestellt werden können. Sie sehen, wir müssen an Rahmenbedingungen arbeiten. Wir, damit meine ich die Politik, aber auch alle beteiligten Behörden. Stichwort Stärkung des Produktionsstandorts: Hemmnisse und Nachteile für den heimischen Standort müssen beseitigt werden. Warum das so ist, hat uns Corona deutlich gemacht. Gemeinsam mit der Politik haben die hessischen Pharma- und Medizinprodukte-Unternehmen sowie Hochschule und die IGBCE Hessen-Thüringen in 2013 die Initiative Gesundheitsindustrie Hessen gegründet, deren Projektbüro beim VCI Hessen angesiedelt ist. Auch hier beschäftigen wir uns seit längerem unter anderem mit einem Thema, das in der Krise nun für alle sichtbar und deutlich geworden ist: die Versorgungsicherheit bei Arzneimitteln. Gerade ist ein Positionspapier mit Vorschlägen zur Verbesserung dieser Versorgung in den finalen Zügen zur Abstimmung bei der Landesregierung. Das Papier enthält Vorschläge, wie man Versorgung sicherstellen und die Unabhängigkeit von Europa als Produktionsstandort stärken kann.


Die chemisch-pharmazeutische Industrie, die Nachhaltigkeit und der Green Deal


Klimaschutz ist trotz oder gerade wegen Corona weiterhin ein relevantes Thema für uns. Die EU-Kommission hat kürzlich ihr Strategiepapier über einen klimaneutralen Kontinent bis 2050 veröffentlicht. Darin enthalten sind acht Bereiche, in denen Maßnahmen umgesetzt werden sollen und die für die chemisch-pharmazeutische Industrie von Interesse sind. Dazu zählen Biodiversität, nachhaltige Mobilität und saubere Energie. Das betrifft natürlich auch Hessen. Hier produzieren und forschen viele innovative Unternehmen. Sie feilen schon lange an Produkten oder Dienstleistungen, die unsere Welt nachhaltiger und klimaneutral gestalten können. Ein Beispiel hierfür sind die Unternehmen, die an der Chemie³-Initiative mitwirken. Gemeinsam mit der IG BCE und dem Arbeitgeberverband der Branche hat der VCI diese Initiative gegründet, die die Balance zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem schafft. Des Weiteren stellt die Branche ihre Nachhaltigkeit mit den unzähligen Projekten, die im Laufe der Jahre über den Responsible Care-Wettbewerb öffentlichkeitswirksam zusammengekommen sind, unter Beweis. In diesem Jahr hat das Projekt zur Filtration von Mikroplastik aus Abwasser der Evonik in Hanau-Wolfgang in Hessen und dem Bund den ersten Preis gewonnen. Es gibt in Hessen viele gute Ansätze und Projekte in der Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik: Wir haben uns von Anfang an in die hessische Nachhaltigkeitsstrategie eingebracht. Die darin aufgehängte neue Wirtschaftsinitiative soll eine Plattform bieten, um Best Practice-Beispiele aus der Industrie aufzugreifen. Im Kontext von Chemie³ gibt es sehr gute Erfahrungen mit dem Nachhaltigkeitswettbewerb für junge Menschen in Hessen. Gerade unsere Azubis bringen hier ihre eigenen Ideen ein. Am Runden Tisch für Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) moderieren wir ressortübergreifend den Dialog um die besten Bildungsideen für eine nachhaltige Entwicklung. Nicht zuletzt in der gegenwärtigen Covid-19-Pandemie zeigt sich, dass ein solides Grundwissen über naturwissenschaftliche Zusammenhänge helfen kann, trotz mancher Unsicherheiten insgesamt den Überblick zu behalten. Zusätzlich hat das Land gemeinsam mit den Partnern die Umweltallianz Hessen neu aufgelegt. Von dieser Neuauflage versprechen wir uns, dass das Motto „Kooperation statt Konfrontation“ im Alltag der Zusammenarbeit zwischen Behörden und unseren Mitgliedsunternehmen in Hessen gelebt wird. Der frühzeitige Austausch über die Fortschreibung der EU-Chemikalienstrategie und die Kunststoffstrategie ist wichtig, um Missverständnisse und Reibungsverluste zu vermeiden. Im Dezember werden wir zudem unsere bewährte Fortbildungsveranstaltung für Störfallbeauftragte - diesmal in virtueller Form - wieder gemeinsam mit Behördenvertretern aus der hessischen Umweltverwaltung und den Experten aus unseren Mitgliedsunternehmen durchführen.


Ein klimaneutrales Europa in 2050


Ein wichtiger Teil des Green Deal ist das Ziel, Europa bis 2050 klimaneutral aufzustellen. Hierzu haben wir als VCI bereits im letzten Jahr eine Studie veröffentlicht, in der wir gezeigt haben, wie unsere Branche diese Ziele erreichen kann. Denn: wir halten das Ziel für erreichbar, wenn (!) die Strompreise stabil gehalten werden und genügend grüner Strom bereitgestellt wird. Zugleich muss darauf geachtet werden, dass die Bürokratie nicht ausufert. Wichtig ist dabei immer, die KMU im Blick zu behalten. Diese können die Last der Vorschriften manchmal kaum noch tragen, die in diesem Bereich erlassen wurden.

Wir halten den Emissionshandel für das geeignete Instrument, um den CO²-Ausstoß zu begrenzen. Zugleich ist aber darauf zu achten, dass möglichst Investitions- und Produktionsverlagerungen außerhalb Europas vermieden werden. Dass es eben nicht zu dem Vermeidungseffekt kommt: wir hier in Hessen und Europa CO² einsparen, dieses jedoch woanders ausgestoßen wird.


Besteuerung von Unternehmen


Mindestens europäisch, besser global, brauchen wir auch einen Ansatz zu den Unternehmenssteuern. Unsere Unternehmen sind sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst. Dazu gehört auch selbstverständlich das Thema Steuern. Beim Thema Corona genauso wie beim Klimaschutz gilt es, solidarische Strukturen zu schaffen. Die Last gekonnt auf die vorhandenen Schultern zu verteilen. Was jedoch nicht geschehen darf, ist die unterschiedliche Besteuerung innerhalb des europäischen Binnenmarktes. Und damit das Wirtschaften zum Nachteil anderer in dieser Gemeinschaft. In einer gemeinsamen Studie des VCI und BDI sind viele offene Baustellen im deutschen Steuerrecht angesprochen.

Jetzt wäre der richtige Moment, wichtige Fragen anzugehen. Dazu zählen beispielsweise eine längst überfällige Digitalisierung im Steuerrecht und auch Verbesserungen bei Wagniskapitalbedingungen. Um international wettbewerbsfähig zu sein, bräuchten wir eine Gesamtbelastung von 25 Prozent – derzeit sind es durchschnittlich 31,3 Prozent. Ein Anfang mit der Neuregelung der steuerlichen Forschungsförderung ist gemacht. Wir hoffen auf kontinuierlichen Mut unserer gewählten Volksvertreter in diesem strategisch wichtigen Politikbereich, aber wie immer auch in anderen Bereichen. Mehr denn je benötigen wir für gute Rahmenbedingungen das viel beschworene Augenmaß. Politik muss Prioritäten setzen und danach handeln und darf sich nicht im Klein-Klein verlieren. Wir sind in diesem Diskurs gerne Sparringspartner.


Kontakt

Für Fragen und Anregungen nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.

 Sula Lockl

Kontaktperson

Sula Lockl