Viele Optionen zur Treibhausgasneutralität

Ergebnisse des ersten C4C-Workshops

02. Oktober 2020 | Bericht

Der neuen VCI/VDI-Klimaschutzplattform Chemistry4Climate wird die Arbeit in den kommenden Jahren so schnell nicht ausgehen. So viel wurde im ersten einer Serie von drei Workshops klar. Mit diesen soll die Grundlage für die spätere Plattformarbeit gelegt werden. In der Veranstaltung hinterfragten die Expertinnen und Experten viele Schlussfolgerungen aus der VCI-Roadmap-Studie von 2019 und steckten den Bedarf für weitere Recherchen ab. Außerdem sammelten die TeilnehmerInnen konkrete Fragestellungen und Themen für die Arbeitsgruppen der künftigen Plattform.

In einer ersten Veranstaltung hinterfragten die Expertinnen und Experten viele Schlussfolgerungen aus der VCI-Roadmap-Studie von 2019 und steckten den Bedarf für weitere Recherchen ab. - Bild: © VCI/VDI
In einer ersten Veranstaltung hinterfragten die Expertinnen und Experten viele Schlussfolgerungen aus der VCI-Roadmap-Studie von 2019 und steckten den Bedarf für weitere Recherchen ab. - Bild: © VCI/VDI

Ganz zu Beginn zeigte sich, dass der Blick auf der Plattform weiter gespannt werden muss als es in der Roadmap des VCI getan wurde: Zum einen sollen weitere Wertschöpfungsstufen in der Chemie betrachtet werden, zum anderen auch andere Branchen berücksichtigt werden. Denn die Chemie ist nicht die einzige Branche, die zum Ziel der Treibhausgasneutralität beitragen 2050 muss. In Hinblick auf dieses Ziel einigten sich die Teilnehmer darauf, dass keine Zwischenziele bei Chemistry4Climate diskutiert werden sollen. Nichtsdestotrotz soll diskutiert werden, welche Auswirkungen die geplante Verschärfung der EU-Klimaziele haben wird. Außerdem gaben die Workshopteilnehmer der Plattform die Frage auf den Weg, ob eine Treibhausgasneutralität der Branche sogar schon vor 2050 erreichbar ist.

Energiebedarf einer treibhausgasneutralen Chemie

Exemplarisch für den ganzen Workshop soll hier die Diskussion zum Energiebedarf der Branche nachgezeichnet werden. Die Roadmap des VCI hatte prognostiziert, dass alleine die deutsche Chemie 2050 einen Strombedarf von über 630 TWh haben dürfte, wenn sie 2050 treibhausgasneutral sein will. Aufgabe für Chemistry4Climate ist, Lösungen dafür zu finden, wie der nötige Strom einerseits hergestellt werden kann, aber auch, wie er zu den Verbrauchern gelangen kann.

Im Workshop wurden Wege erläutert, wie die Chemie in Zukunft an den nötigen Kohlenstoff für ihre Produkte gelangen kann. Die Roadmap des VCI hatte beschrieben, dass die zukünftige Rohstoffbasis der Chemie vor allem auf synthetischem Naphtha beruht. Dessen stromintensive Herstellung über Wasserstoff als Energieträger ist der wichtigste Faktor dafür, dass die deutsche Chemie 2050 elf Mal mehr Strom benötigt als heute, um treibhausgansneutral zu sein. Zwar können beispielsweise auch die Vergasung oder Pyrolyse von Kunststoffabfällen und die Vergasung von Biomasse das heute eingesetzte fossile Naphtha, eine Erdölfraktion, teilweise ersetzen. Sie werden allerdings auch in Zukunft nur begrenzt verfügbar sein. Daher rechnen Experten damit, dass synthetisches Naphtha mit einem Anteil zum wichtigsten Ausgangsmaterial für die Basischemie der Zukunft wird. Um den dafür nötigen Wasserstoff herzustellen, kommen unter anderem verschiedene Elektrolysemethoden in Betracht, die jeweils Vor- und Nachteile haben. Beispielsweise braucht die sogenannte „Hochtemperatur-Elektrolyse“ zwar weniger Strom, allerdings auch eine höhere Heizleistung, was nur sinnvoll ist, wenn man die Abwärme aus anderen Prozessen dazu nutzen kann.

Die enorme Strommenge für die gängigen Elektrolyseverfahren wird aus Sicht mehrerer Workshopteilnehmer auch in Zukunft in Deutschland kaum verfügbar sein. Ein Vertreter eines Netzbetreibers hält zwar hohe Erzeugungskapazitäten zum Beispiel in der Nordsee für möglich, der produzierte Strom soll aber auch für alle Anrainerstaaten nutzbar sein. Zudem sei völlig ungeklärt, wie der Strom zu den großen Industriestandorten gelangen soll. Die entsprechende Infrastruktur zu bauen erfordere eine Vorlaufzeit von ca. 15 Jahren. Gleichzeitig ist die Herstellung der Strommenge, wie sie der VCI für die Zukunft als nötig ausweist, wegen des Platzbedarfs vor allem für die Windenergie nicht mit der Natur in Deutschland in Einklang zu bringen, so eine Vertreterin einer Umweltschutzorganisation im Workshop. Dies habe zu Folge, dass man den nötigen Wasserstoff nicht allein in Deutschland erzeugen könne, was aber in möglichen Produzentenländern wie in Nordafrika wieder andere Probleme erzeuge, da diese den Strom selbst auch benötigten und Wasser als Ausgangsstoff für die Elektrolyse knapp ist. Daher einigten sich die Teilnehmer darauf, auf der Plattform zunächst nur Wasserstofferzeugungskapazitäten in der EU zu untersuchen.

Eine theoretische Alternative wäre es, den Kohlenstoff aus der Abscheidung von CO2 an Stellen zu gewinnen, an denen es punktuell stark auftritt, wie bei fossilen Kraftwerken oder an Anlagen zur thermischen Abfallverwertung. Dies hätte den Vorteil, dass viel weniger Strom nötig ist als für synthetisches Naphtha. Bei diesem sogenannten CCS-Verfahren (Carbon Capture and Storage) seien die Nachbarstaaten Deutschlands wie die Niederlade sehr viel aktiver. Allerdings würde auch CCS einen teuren Ausbau der Infrastruktur erfordern, wodurch der dadurch gewonnene Kohlenstoff am Ende teurer sein könnte als synthetisches Naphtha. In Deutschland habe CCS zudem ein gesellschaftliches Akzeptanzproblem. Selbst wenn es auch in Zukunft noch genügend Punktquellen geben sollte, um CO2 abzuscheiden, sei beispielweise der Bau einer Pipeline zum Abtransport kaum durchsetzbar, ein wichtiger Hemmschuh für solche Technologien. Trotz dieser Herausforderungen haben sich die Teilnehmer darauf geeinigt, dass CCS unbedingt auf der Plattform diskutiert werden muss – als Ergänzung zum Ausbau und der Nutzung Erneuerbarer.

Die einhellige Meinung der Teilnehmer war, dass Chemistry4Climate durchaus verschiedene Optionen diskutieren sollte, die zur Treibhausgasneutralität beitragen können, und zwar auch über die Wege hinaus, die in der VCI-Roadmap beschrieben wurden. Nicht zu vernachlässigen sei beispielsweise die Möglichkeit, CO2 auch direkt als Bestandteil in Produkte einzubauen, woran mehrere Chemiefirmen arbeiten.