Chemistry4Climate startet mit erstem Expert*innentreffen

Breite Expertise für das gemeinsame Ziel

08. Juli 2020 | Bericht

Chemistry4Climate, die gemeinsam von VDI und VCI ins Leben gerufene Klimaschutzplattform, ist nun in die erste Arbeitsphase eingetreten. Obwohl sich die Experten und Expertinnen beim ersten Treffen wegen der andauernden Corona-Regeln nur digital begegnen konnten, standen am Ende klare Erwartungen an die neue Plattform.

Das Logo der neuen Klimaschutzplattform von VCI und VDI. - © VCI/VDI
Das Logo der neuen Klimaschutzplattform von VCI und VDI. - © VCI/VDI

Bei dem von Ljuba Woppowa (VDI- Geschäftsführerin für Verfahrenstechnik und Chemieingenieurwesen) moderierten Treffen Anfang Juli ging es darum, dass sich alle Teilnehmenden der ersten Plattform-Phase persönlich kennenlernen und aufzeigen, welche Perspektiven und Expertise sie jeweils mitbringen.

Für die Vertreter der Unternehmen der chemischen Industrie stand schnell „Rahmenbedingungen“ als das wichtigste Schlagwort im Raum. Denn damit die Chemie in Hinblick auf eine Treibhausgasneutralität 2050 ihre Prozesse grundlegend neu erfinden könne, brauche es eine politische Begleitung, welche die technische Entwicklung ermöglicht und unterstützt. Die Unternehmen hätten „Lösungen, die aber manchmal an der Wirtschaftlichkeit scheitern.“ Wettbewerbsfähigkeit sei wichtig, denn Produkte müssten sich auch auf Basis der neuen Technologien weiter auf dem Weltmarkt verkaufen können. Es folgte der Hinweis, dass viele der Probleme, welche auf die Branche bei einer stärkeren Emissionsminderung zukomme, nicht innerhalb der Branche selbst gelöst werden könnten. Das betreffe zum Beispiel die Frage von Kunststoffabfällen, die die Chemie zukünftig noch stärker als Rohstoff in der Produktion wiedereinsetzen möchte. Wie diese Abfälle über einen geordneten Weg Teil der Wertschöpfungskette werden können, sei auch ein Problem der Gesellschaft insgesamt. Eine Teilnehmerin, die ein mittelständisches Unternehmen der Chemie vertritt, mahnte zudem, dass der Mittelstand beim Klimaschutz ebenfalls sehr engagiert, in seiner eigenen CO2-Bilanz aber stärker von Zulieferern abhängig sei, was den eigenen Aktionsspielraum einschränke.

Ein Gewerkschaftsvertreter wies in seiner Vorstellung darauf hin, dass die Konzepte, die für die Chemie entwickelt werden, auch „realistisch“ gedacht werden müssten. Die deutsche Chemie solle schließlich eine „beschäftigungsintensive Industrie“ bleiben, Treibhausgasneutralität also mit der Sicherung von Standorten einhergehen.

Auch Energiewirtschaft stark von Energiepolitik geprägt

Eine große Rolle spielt hierbei die Energiewirtschaft, die mit mehreren Vertretern teilnahm. Gerade die großen Energieversorger haben sich bereits konkrete Ziele für die eigene Treibhausgasneutralität gesetzt, die teilweise deutlich vor dem Jahr 2050 liegen. Man habe auch große Erfahrung im Industriekundengeschäft und kenne die Bedürfnisse energieintensiver Unternehmen, denen man unterstützende Angebote machen wolle. Umso wichtiger sei, dass „die Chemie aus der Deckung kommt und ihren Bedarf anmeldet, damit wir den Ausbau der Erzeugungskapazitäten und die Weiterentwicklung der Netze darauf abstimmen können.“ Technisch und politisch sieht sich die Energiewirtschaft noch mit vielen offenen Fragen konfrontiert; wie die produzierende Industrie hat sie ebenfalls mit wechselhaften energiepolitischen Rahmenbedingungen zu kämpfen.

Die Vertreter aus Bundesministerien antworteten, dass sich ihre Häuser dieser veränderten Bedürfnisse von Unternehmen stärker als vielleicht in der Vergangenheit bewusst seien. Man setze nicht nur auf Ziele und stelle Forderungen an die Industrie, sondern wolle „Ideen gemeinsam mit der Industrie erarbeiten“, zum Beispiel in Hinblick auf Fördermechanismen. Auch die nationale Wasserstoffstrategie solle helfen, die Entwicklung in der Industrie zu fördern. Die Politik hofft zudem darauf, dass sich Initiativen wie Chemistry4Climate mit anderen Plattformen wie dem neugeschaffenen „Kompetenzzentrum Klimaschutz in energieintensiven Industrien“ in Cottbus vernetze.

Nötig für eine erfolgreiche Klimaschutzstrategie der Chemie sind auch die Bereiche Abfallwirtschaft und Chemie-Anlagenbau, aus denen ebenfalls Vertreter am Kick-Off-Treffen teilnahmen. Entscheidend seien hier die Umstellung der heutigen, von fossilen Ressourcen geprägte Rohstoffbasis auf erneuerbaren Kohlenstoff (zum Beispiel aus Biomasse, chemischem Recycling oder aus CO2). Im Anlagenbereich gibt es laut einem Unternehmensvertreter bereits erste Projekte, die angelaufen sind. Neben der Technologieentwicklung stünden auch erste Regelwerke für Anwendungen bereit. Der Anlagenbau-Vertreter sagte: „Wir müssen für manche Bereiche in der Zusammenarbeit noch eine gemeinsame Sprache finden. Dann geht es darum, Anlagen hochzuskalieren und betreibbar zu machen.“

Nicht zu unterschätzen ist die Begleitung der Plattformarbeit durch Vertreterinnen der Zivilgesellschaft, konkret von NGOs. Diese verwiesen darauf, dass sie sich schon länger mit den Voraussetzungen für eine treibhausgasneutrale Industrie beschäftigten und entsprechende Bereiche aufgebaut hätten. Gelobt wurde, dass die deutsche Chemie mit Chemistry4Climate verschiedene Branchen und Organisationen an einen Tisch bringe. Allerdings wurden die anwesenden Chemievertreter auch in die Pflicht genommen. Die Frage könne nicht nur lauten, was die Chemie realistisch leisten könne, sondern pointiert auch, was die Chemie an Lösungen anbieten könne, damit auch NGOs den von der Industrie vorgeschlagenen Weg mittragen könnten. Hier sei wichtig, dass Themen wie Naturschutz und Biodiversität auch beim Klimaschutz mitgedacht würden. Zudem müsse die internationale Perspektive einfließen, „Deutschland darf sich nicht auf Kosten anderer Regionen in der Welt“ optimieren, was besonders auf den Import von Wasserstoff und weiteren Rohstoffen aus anderen Ländern anspielte.

Was sind die Hürden?

In der Schlussrunde der Veranstaltung wurde noch nach den größten Hürden gefragt, welche auf die Chemie in Sachen Treibhausgasneutralität zukomme. Aus Industriesicht steht hier vor allem zur Debatte, ob der in der VCI-Roadmap 2050 beschriebene sehr hohe Bedarf an erneuerbarem Strom überhaupt gedeckt werden kann. Hier seien auch Importe nötig. Zudem könnten die hohen Investitionen in neue Anlagen, die in der Roadmap auf 45 Milliarden Euro beziffert werden, nur mithilfe staatlicher Förderungen getätigt werden, solange es noch keinen weltweiten CO2-Preis gebe, der für gleiche Wettbewerbsbedingungen der großen Chemie-Nationen sorge. Die Vertreter der Politik räumten darauf ein, dass die „Rahmenbedingungen stimmen müssen, damit Industrie wettbewerbsfähig sein kann.“ Hierzu habe in Berlin auch ein gewisses Umdenken stattgefunden.

Aus der Energiewirtschaft hieß es, das Problem des „First Mover“ für neue Technologien sei bedenkenswert. Denn Firmen, die früh handeln und entsprechend investieren, müssten zunächst mehr zahlen, als Firmen, die zu dem Zeitpunkt noch mit konventionellen Technologien arbeiten. Daher sollten Investitionshürden für die, die früh handeln, sinken. Der Vertreter denkt dabei auch an Unterstützung durch die EU, zum Beispiel durch geänderte EU-Umweltbeihilfeleitlinien. Aus dem Bereich Abfallwirtschaft kam die Einschätzung, dass es bei Steigerung des Anteils erneuerbarer Rohstoffe voraussichtlich zu starker Konkurrenz um deren Nutzung kommen werde. Ein NGO-Teilnehmer gab den Anwesenden schließlich noch mit auf den Weg, die Weichen beschleunigt zu stellen, denn für die Akzeptanz der Zivilgesellschaft sei die Zeitschiene „extrem relevant“. Die Transformation müsse schon vor 2030 beginnen, nicht erst danach. Damit seien auch Chancen für die deutsche Industrie verbunden.